Fiskalpakt bedroht Sicherungssysteme

Sozialverband Deutschland warnt vor möglichen Folgen der EU-weiten Schuldenbremse

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Sozialkassen werden mit Steuermitteln bezuschusst. Diese Einnahmen fallen immer mehr der staatlichen Sparwut zum Opfer.

Ursula Engelen-Kefer ist beunruhigt. »Wir stehen unter einem ständigen Druck auf die Sozialsysteme«, sagt die Vorsitzende des Arbeitskreises Sozialversicherung des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). Ihr rund 560 000 Mitglieder starker Verband legte am Dienstag ein Positionspapier vor, in dem er vor Kürzungen im sozialen Bereich warnt. Besondere Brisanz erhält das Thema dadurch, dass seit dem 1. Januar 2014 für alle teilnehmenden EU-Staaten verpflichtend der sogenannte Fiskalpakt gilt.

Dieser völkerrechtliche Vertrag ist die Antwort der europäischen Regierungen auf die Staatsschuldenkrise. Er geht auf einen Vorschlag Frankreichs und Deutschlands zurück und wurde im Jahr 2012 von allen damaligen EU-Mitgliedsstaaten außer Großbritannien und der Tschechischen Republik ratifiziert. In ihm verpflichten sich die Länder zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt. So darf das gesamtstaatliche Defizit künftig nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes betragen. Verstößt ein Land dagegen, findet quasi automatisch ein Defizitverfahren statt.

»Wir befürchten, dass diese Begrenzungen auch auf die Sozialversicherungen durchschlagen werden«, warnt SoVD-Präsident Adolf Bauer. Schließlich finanzieren sich die öffentlichen Kassen nicht nur über Beitragseinnahmen. Sie erhalten auch erhebliche Zuschüsse aus dem Steuertopf. Das sind nach Ansicht des SoVD Finanzmittel, die bei schlechter Haushaltslage der Sparwut des Finanzministeriums zum Opfer fallen könnten.

Diese Sorge ist nicht unbegründet. Noch vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags warnte der Deutsche Gewerkschaftsbund die neue schwarz-rote Bundesregierung vor einer Plünderung der Sozialkassen. Diese sind zwar dank der guten Konjunktur zurzeit gut gefüllt - die Rücklage der Rentenversicherung etwa beträgt derzeit über 30 Milliarden Euro. Doch drohen die Guthaben der Sozialkassen sich durch die aktuelle Haushaltspolitik in Luft aufzulösen. So machten die Sozialkassen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2013 ein Defizit von vier Milliarden Euro. Bei den Krankenkassen ist das Minus nicht zuletzt auch auf die Reduzierung des Zuschusses des Bundes zum Gesundheitsfonds um 2,5 Milliarden Euro zurückzuführen.

Die Folgen dieser Kürzungspolitik sind jetzt schon viele Leistungskürzungen im sozialen Bereich, etwa bei Eingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose. Vollends zum GAU könnte es kommen, wenn die Schuldenbremse für die Kommunen greift. »Das wäre eine Vollbremsung in vielen Leistungsbereichen«, meint Expertin Engelen-Kefer. Denn gerade bei den besonders bedürftigen Menschen übernehmen die Kommunen viele Leistungen. Und deren Kassenlage ist mit einer Gesamtverschuldung von 130 Milliarden Euro nicht gerade rosig.

Der SoVD weiß zwar, dass er nicht die Macht hat, den EU-Fiskalpakt zu beseitigen. Doch schlägt er eine Alternative vor: »Anzuheben ist die Besteuerung hoher und höchster Einkommen«, schreibt der Verband in seinem Positionspapier. Auch sei unter anderem eine »wirksame Besteuerung hoher Vermögen« einzuführen. Denn »der Staat hat die Pflicht, seine Aufgaben zu erfüllen und das steuerlich gerecht umzusetzen«, schließt SoVD-Präsident Bauer.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.