Finanztransaktionssteuer auf Raten

EU-Minister beraten über Kompromiss / Protest von Nichtregierungsorganisationen

Eigentlich sollte zu Jahresbeginn in elf EU-Staaten eine Steuer auf Börsen- und Bankengeschäfte eingeführt werden. Doch die Details sind noch immer unklar.

Es gibt wohl kein Finanzthema, das in der linken Szene für mehr Wirbel sorgt als die Finanztransaktionssteuer. Daher überrascht es auch nicht, dass über 300 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 18 Ländern am Dienstag in einer europaweiten Aktion offene Briefe an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Frankreichs Präsidenten François Hollande, die spanischen und italienischen Ministerpräsidenten, Mariano Rajoy und Enrico Letta, sowie Österreichs Kanzler Werner Faymann schrieben. Die Aktivisten warnen darin vor einer »drohenden Verwässerung der Finanztransaktionssteuer« und »einem faulen Kompromiss«. Unterstützung kommt auch von bekannten Schauspielern wie Heike Makatsch, Bill Nighy, Andrew Lincoln, Javier Cámara und Clémence Poesy, die in einem von der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam produzierten dreiminütigen Kurzfilm die Einführung der Steuer sowie die Verwendung der Einnahmen für Armutsbekämpfung und Klimaschutz fordern. Regie führte David Yates (Harry-Potter-Filme).

Anlass zur Sorge ist ein Vorstoß aus Paris, der bei den heutigen deutsch-französischen Regierungskonsultationen diskutiert wird. Demnach sollen Derivate von der Besteuerung ausgenommen werden. Nach Berechnungen der Briefeschreiber würde dadurch der deutsche Staat anstatt der jährlich möglichen 12 Milliarden nur 4,5 Milliarden Euro aus der Finanztransaktionssteuer einnehmen.

Auf eine gemeinsame deutsch-französische Position hofft Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici. Er forderte am Dienstag in Brüssel einen »soliden und realistischen« Kompromissvorschlag bis zu den Europawahlen Ende Mai, auf dessen Grundlage die interessierten Staaten ihre Beratungen fortsetzen könnten. Am Rande des EU-Finanzministertreffens kamen Vertreter der elf Staaten zusammen, die sich im Oktober 2012 im Grundsatz auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer geeinigt hatten. Neben Deutschland und Frankreich gehören dazu Belgien, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei. Vor fast genau einem Jahr legte die EU-Kommission einen Vorschlag vor, der die Einführung zum 1. Januar 2014 vorsah. Dazu ist es aber nicht gekommen, denn die Regierungen sind sich über viele Details uneins: Nach welchem Prinzip wird besteuert? Welche Produkte sollen wie hoch besteuert werden? Bleiben die Einnahmen in den nationalen Budgets oder fließen sie in das gemeinsame EU-Budget?

Die EU-Kommission schlug vor, auf Geschäfte mit Aktien und Anleihen eine Abgabe in Höhe von 0,1 Prozent zu erheben und den Satz für den Handel mit komplizierten Finanzprodukten wie Derivate auf 0,01 Prozent festzulegen. Damit würden die jährlichen Einnahmen 30 bis 35 Milliarden Euro betragen. Vom Argument der britischen Regierung, die eine EU-weite Finanztransaktionssteuer ablehnt, dass diese mit Ausweichmanövern umgangenen werden könnte, hält Brüssel nichts: Besteuert werden könnten alle Geschäfte, bei denen auch nur einer der Beteiligten in der EU sitzt, oder aber Finanzprodukte, die in einem der Teilnehmerstaaten unabhängig vom Handelsplatz oder dem Sitz von Käufer und Verkäufer herausgeben wurden. Auch auf die Kritik, die Steuer verteuere alltägliche Bankgeschäfte von Unternehmen und Verbrauchern wie Haus- oder Firmenkredite oder Kreditkartengeschäfte, reagierte die EU-Kommission: In ihrem Vorschlag werden diese ausgenommen - besteuert werden sollen ausschließlich Geschäfte, bei denen Banken und Investmentfonds beteiligt sind.

Um wieder Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zu bringen, schlug Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) jetzt vor, die Steuer »Schritt für Schritt« einzuführen sowie nach und nach immer mehr Finanzprodukte einzubeziehen. Eine Steilvorlage für die französische Regierung, die die im Lande zuletzt boomenden Derivategeschäfte ausnehmen möchte. »Wir brauchen eine breit angelegte Steuer auf Aktien, Anleihen und Derivate«, fordert dagegen Peter Wahl von der Nichtregierungsorganisation WEED. »Alles andere wäre ein Feigenblatt ohne echte Wirkung.«

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