Rohstoffrauschen im Meer

Der neue Bericht »World Ocean Review 3« zeigt, warum die Bundesregierung Deutschland einen Claim im Indischen Ozean absteckt. Von Hermannus Pfeiffer

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Woher kommen die Rohstoffe der Zukunft? Aus dem Meer. Grund genug, um das deutsche Forschungsschiff »Sonne« im Herbst 2013 auf eine Expedition in den Indischen Ozean zu schicken. Südöstlich von Madagaskar untersuchten Geologen das Auftreten metallreicher Ablagerungen entlang ozeanischer Spreizungszonen. Sogenannte Massivsulfide an Tiefseequellen - als »Schwarze Raucher« bekannt - enthalten neben hohen Anteilen an Buntmetallen auch Edelmetalle sowie verschiedene Spurenelemente, darunter Wismut, Germanium oder Kobalt. Elemente, die für die Herstellung von Hochtechnologieprodukten, für Handys, Fernsehgeräte oder Generatoren benötigt werden. »Die Massivsulfide«, gibt sich die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) optimistisch, »könnten daher künftig einen Beitrag zur Rohstoffversorgung Deutschlands leisten«.

Drei Viertel der Erde sind mit Wasser bedeckt. Und tief unter dessen Oberfläche liegen wahre Schätze verborgen: Erdöl und Gas, teils in Form von Eis als sogenanntes Methanhydrat, metallreiche Krusten und Manganknollen mit begehrten Industrierohstoffen. Der Meeresbergbau verspricht eine goldene Zukunft. Vor allem für internationale Bergbaukonzerne wie Rio Tinto oder Nautilus und für deutsche Produzenten der Tiefseetechnik. »Es geht um Billionen von Dollar«, sagte Christian Reichert, BGR-Forscher und Mitglied der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA während der Präsentation des dritten »World Ocean Review« am Donnerstag in Hamburg.

Die ersten beiden bunt bebilderten Übersichtsdarstellungen über »Ozeane« und »Fische« sind Bestseller, auch wenn sie kostenlos vertrieben werden. Dafür sorgt die Stiftung der 2002 verstorbenen Elisabeth Mann Borgese, der großen alten Dame des humanitären und ökologischen Seerechts. Mehr als 100 000 gedruckte Exemplare gingen in 86 Länder; in China und Thailand wurden Übersetzungen angefertigt. Der Erfolg ist umso überraschender, als hier die 200 Forscher des Exzellenzclusters »Ozean der Zukunft« am Werke sind. Ein paar Hundert Exemplare verkaufen Wissenschaftler normalerweise von ihren Werken. Doch auch der neue »World Ocean Review« ist wieder ein echter Schmöker geworden. Dafür sorgt der federführende Mare-Verlag in Hamburg.

Ein Buch auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Und der ist differenzierter, als Medien und Nichtregierungsorganisationen uns weismachen wollen. Ein Beispiel: Erdgas und Erdöl werden schon seit mehr als 100 Jahren aus dem Meer gewonnen, in immer größeren Tiefen, in immer größeren Mengen. Doch trotz spektakulärer Unglücke wie der Explosion der Bohrinsel »Deepwater Horizon« geht die Ölverschmutzung weltweit rapide zurück. Der Grund sind strengere Auflagen für den Schiffsverkehr. In der Ostsee nahm dadurch und dank besserer Kontrollen die Zahl der Verschmutzungen seit dem Jahr 2000 um drei Viertel ab.

Die Visionäre der maritimen Industrie setzen ihre Hoffnungen auf Seltene Erden. Die sind zwar längst nicht alle selten, aber Neodym, Yttrium und Cerium - ohne die weder Plasmabildschirme noch Windkraftanlagen laufen - sind für die Bundesregierung »strategische Rohstoffe«. Heute werden sie nur an Land abgebaut, aber der wachsende Bedarf in China, Russland und in Schwellenländern, die steigende Nachfrage durch neue Technologien dürfte über kurz oder lang den Tiefseeabbau wirtschaftlich machen.

Der »World Ocean Review« wirft dazu viele Fragen auf. Die ökologischen Aspekte sind danach kaum seriös zu beurteilen. Frühere Forschungen stellte ausgerechnet die rot-grüne Regierung vor einem Dezennium ein, beklagte am Donnerstag im ehemaligen Hauptzollamt Hafen-Hamburg Gerd Schriever vom Forschungsinstitut BIOLAB in Braunschweig, der für die verhinderte grüne Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms kurzfristig eingesprungen war. Die Technik erlaubt heute punktuelle Ernten am Meeresboden, ist für die Tiefsee aber noch nicht wirklich gerüstet. Siemens testet im norwegischen Trondheim die Stromversorgung für Tiefsee-Fabriken. Ab 2020 will der Energiekonzern Statoil Öl- und Gasförderanlagen am Meeresboden bauen. Plattformen können bislang Rohstoffquellen nur zu 40 Prozent ausbeuten - Tiefsee-Fabriken sollen den Anteil auf 60 Prozent steigern.

Das entscheidende ökonomische Referenzprojekt aus Sicht der Wissenschaftler arbeitet vor Papua-Neuguinea im Pazifik. Der kanadische Multi »Nautilus Minerals« will dort Manganknollen ernten: In einem Areal von 1,3 Kilometer Länge und bis zu 200 Meter Breite sollen Gold, Silber, Kupfer und Zink liegen. Zurzeit ruhen die Arbeiten in der Bismarcksee aufgrund eines Rechtsstreits mit der Regierung.

Der Rechtsstreit ist insofern typisch, als auf hoher See durch das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) seit 1982 die Ausbeutung des »Gemeinsamen Erbes der Menschheit« ordentlich geregelt ist. So müsste der zukünftige Ertrag aus dem Meeresbergbau zur Hälfte an arme Länder fließen. Wirtschaftlich und ökologisch problematischer, so die WOR-Autoren, seien Küstenregionen wie vor Papua-Neuguinea. Rund 370 Kilometer ragen die »Ausschließlichen Wirtschaftszonen« ins Meer - verantwortlich dafür ist allein der jeweilige Küstenstaat. Wer das im Einzelnen ist, darüber streiten sich bei einigen Inseln im Pazifik mehrere Länder, zwischen Argentinien und Großbritannien kam es wegen der Falklandinseln gar zum Krieg.

Inzwischen war die Indien-Expedition der »Sonne« erfolgreich. Im Januar meldete das Bundeswirtschaftsministerium bei der Internationalen Meeresbodenbehörde auf Jamaika eine Lizenz zur Erkundung von Massivsulfiden auf dem Tiefseeboden des Indischen Ozeans an. Die beantragte Lizenz sei für den Standort Deutschland zweifach von Bedeutung: als »neue Quelle« für Hochtechnologierohstoffe und als »starker Impuls« für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Die Zukunft hat bereits begonnen.

Der World Ocean Review 3, »Rohstoffe aus dem Meer - Chancen und Risiken«, kann kostenlos unter der Internetadresse worldoceanreview.com bestellt oder heruntergeladen werden.

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