Putin behält sich »alle Mittel« vor
Krim-Bürger sollen über Zukunft abstimmen / Russischer Staatschef warnt Westen vor Sanktionen / Janukowitsch ist für Moskau weiter legitimer Präsident
Moskau. Russlands Staatschef Wladimir Putin sieht derzeit keine Notwendigkeit für die Entsendung russischer Truppen in das Nachbarland, behält sich aber »alle Mittel« zum Schutz seiner Bürger in der Ukraine vor. Jede Entsendung russischer Truppen in die Ukraine wäre »legitim«, betonte Putin am Dienstag in einem live übertragenen Fernsehinterview. Er hatte sich am Wochenende vom russischen Parlament grünes Licht für eine militärische Intervention in der Ukraine geben lassen.
Putin bezeichnete zudem den Ende Februar vom Parlament in Kiew abgesetzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch als den einzig legitimen Präsidenten der Ukraine. »Aus rechtlicher Sicht gibt es nur einen legitimen Präsidenten. Es ist klar, dass er nicht die Macht hat. Aber ich habe bereits gesagt und ich will es wiederholen, der legitime Präsident aus rein rechtlicher Sicht ist eindeutig Janukowitsch«, sagte Putin.
Die Absetzung Janukowitschs durch das ukrainische Parlament infolge tagelanger blutiger Straßenkämpfe in Kiew wertete der russische Präsident als bewaffneten Putsch. »Es kann nur eine einzige Bewertung der Ereignisse in Kiew und der Ukraine geben: Es handelt sich um einen verfassungswidriger Staatsstreich und eine gewaltsame Machtergreifung«, sagte Putin. Es waren seine ersten öffentlichen Äußerungen zu der anhaltenden Krise im Nachbarstaat.
Über den künftigen Status der Schwarzmeer-Halbinsel Krim sollen nach den Worten des Kremlchefs die Bewohner der Autonomen Republik selbst entscheiden. »Nur die Bürger können und sollen über ihre Zukunft in einer freien und sicheren Willensentscheidung bestimmen«. Derzeit sei kein Anschluss vorgesehen. Allerdings ist auf der Krim am 30. März eine Volksabstimmung über die Abspaltung geplant. Die Krim-Führung strebt einen Status als Staat an. Die ukrainische Führung hält dieses Referendum für rechtswidrig. Den Westen warnte Putin vor der Verhängung von Strafmaßnahmen. Wer über Sanktionen nachdenke, müsse sich auch der Konsequenzen bewusst sein
Bereits am Montag hatte Russland den Militäreinsatz auf der ukrainischen Halbinsel Krim mit einem Hilferuf des abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch begründet. UN-Botschafter Witali Tschurkin sagte vor dem Weltsicherheitsrat in New York, Janukowitsch habe Kremlchef Wladimir Putin und die russischen Streitkräfte nach dem Umsturz gebeten, »Recht und Ordnung wiederherzustellen«. Tschurkin sagte, Janukowitsch sehe sein Land am Rande des Bürgerkriegs und habe von offener Gewalt durch den Einfluss des Westens berichtet. Russland unterstützt nach wie vor Janukowitsch, obwohl er vom Parlament abgesetzt wurde.
Tschurkin betonte mit Blick auf das Vorgehen Russlands auf der Krim, die überwiegend von Russen bewohnt ist: »Alles was geschieht, geschieht in voller Übereinstimmung mit russischem Recht.« Es gehe nur um den Schutz von Minderheiten und den Kampf gegen »terroristische Kräfte«. Nur, weil auf den Russen »herumgetrampelt« werde, hätten sich »Volksbrigaden für Selbstverteidigung gebildet«.
US-Botschafterin Samantha Power widersprach: »Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man die russische Armee für den verlängerten Arm des UN-Kommissars für Menschenrechte halten.«, sagte sie an Tschurkins Adresse. »Aber Sie haben das Völkerrecht und die Souveränität eines unabhängigen Landes verletzt. Und dass ohne jeden Grund, denn es gibt keinerlei Berichte, dass die russische Minderheit irgendwie bedroht oder drangsaliert wurde.« Es sei Russlands gutes Recht, mit der neuen demokratischen Regierung in Kiew nicht einverstanden zu sein; es sei aber nicht Moskaus Recht, deshalb Soldaten zu schicken, betonte Power. »Die Lösung der Krise ist einfach: Dialog der Streitparteien, Rückzug der russischen Armee, Entsendung von internationalen Beobachtern - und nicht neue Drohungen und noch mehr Soldaten«, sagte Power.
Laut dem ukrainischen UN-Botschafter Sergejew erklärte, Moskau habe seit dem 24. Februar 16.000 Soldaten auf die Krim verlegt. Derweil hat das Pentagon sämtlichen Kontakt zum russischen Militär eingefroren. Jegliches Engagement des US-Militärs mit Russlands Militär sei gestoppt worden, teilte Pentagonsprecher John Kirby am Montagabend (Ortszeit) in Washington mit. Auch gemeinsame Übungen, bilaterale Treffen, Hafenvisiten und Planungskonferenzen seien ausgesetzt worden. Die militärischen Beziehungen beider Länder hätten in den vergangenen Jahren für Transparenz gesorgt und das »Risiko militärischer Fehleinschätzungen« verhindert, hieß es.
Das US-Verteidigungsministerium überwache die Situation in der Ukraine genau und stehe mit Partnern, Verbündeten und der Nato in engem Kontakt. Washington rief Moskau erneut dazu auf, die Lage zu entschärfen und seine Truppen auf der Krim zurück auf ihre Stützpunkte zu ziehen. Medienberichte über mögliche Bewegungen von US-Kriegsschiffen in Richtung Schwarzes Meer bestätigte das Pentagon am Abend nicht. Die US-Marine unternehme ihre regelmäßigen Operationen und Übungen wie bereits geplant.
Die Unsicherheit um die Ukraine hat am Montag auch am US-Aktienmarkt für Verluste gesorgt. Anleger würden zusehends nervöser und schichteten in als sicher geltende Anlagen um, sagten Börsianer. Das belastete die Kurse von riskanten Anlageklassen wie Aktien. Der Dow Jones Industrial rutschte um 0,94 Prozent auf 16 168,03 Punkte ab. Der S&P-500 verlor 0,74 Prozent auf 1845,73 Punkte. Am Freitag war der breite Index auf einen neuen Rekordwert geklettert. Der Technologieindex Nasdaq 100 gab am Montag 0,75 Prozent nach auf 3668,37 Punkte.
In Asien und Europa hatten die Börsen wegen Sorgen um die weitere Entwicklung in der Ukraine noch deutlicher nachgegeben. Der Aktienmarkt in Moskau rauschte gar um zwölf Prozent in die Tiefe. Russland hat auf der Krim praktisch die Kontrolle übernommen - rund um die Welt ringen Politiker nun um eine Lösung des Konflikts. »Wir wissen nicht, was mit Russland passiert - und das macht die Leute nervös«, sagte ein Portfoliomanager in London. »Die Finanzmärkte reagieren typischerweise mit Verkäufen auf Nachrichten zu einer geopolitischen Krise«, sagte ein Marktstratege in Oregon. »Wie tief die Krise aber wirklich geht, hängt von der Effizienz der Diplomatie ab«, sagte er. Agenturen/nd
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