Der letzte Außenposten
Berwick in Nordengland könnte durch Schottlands Unabhängigkeit zur Grenzstadt werden
Ihr Name soll nicht öffentlich werden, doch sie findet offene Worte: »In England sind wir Schotten und in Schottland nennen sie uns Geordies«, sagt die Endvierzigerin. Sie arbeitet für die Stadtverwaltung in Berwick-upon-Tweed, der letzten englischen Stadt vor der schottischen Grenze. 13 mal hat der Ort über die Jahrhunderte die Zugehörigkeit gewechselt, war mal englisch und mal schottisch. Jetzt ist er englisch. Die Fußballer der Berwick Rangers spielen jedoch in der schottischen Liga. Am 18. September gehen die Schotten an die Wahlurne, um über die Unabhängigkeit ihres Landes zu entscheiden. Ein positiver Ausgang des Referendums würde für die 13 000 Einwohner von Berwick einiges verändern.
Die Dame von der Stadtverwaltung fühlt sich jedenfalls englisch. Als Geordie, wie die Menschen hier oben im Nordosten genannt werden. Sie sind bekannt für ihre direkte, unverblümte Art. Dieses ganze Gerede über England und Schottland und die Unabhängigkeit, das tangiert die vorsichtige Dame nicht. »Es ist mir egal«, sagt sie. Ihr Vater sei Schotte gewesen. Aber das mache sie nicht gleich zur patriotischen Schottin, findet sie. Außerdem glaube sie nicht, dass Schottland unabhängig werde.
Sollte dies jedoch eintreten, hat Berwick ein Problem. Mindestens eines. Dank der Nähe zu Schottland kommen Schotten nicht nur zum Arbeiten, sondern auch gerne zum Einkaufen in die kleine Küstenstadt. Was passiert dann an der Grenze, fragt sich Steven Hope, der in einem Souvenirladen in der Church Street arbeitet. Müssen die Schotten dann ihre Währung umtauschen? Wollen sie dann überhaupt noch in Berwick einkaufen oder fahren sie lieber in das etwa 90 Kilometer entfernte Edinburgh?
Hope ist Schotte, geboren in Edinburgh. Seine Mutter ist Schottin, sein Vater kommt aus Berwick, seine Geschwister wurden in Berwick geboren, was sie zu Engländern macht. Die Frage, ob er sich eher englisch oder eher schottisch fühlt, lächelt er mit einem »Ich bin Schotte« weg. Wer in der schottischen Hauptstadt das Licht der Welt erblickte, der hat keine Wahl. In seiner Familie, sagt er, würde man das Thema schottische Unabhängigkeit aber nicht diskutieren. Irgendwie käme es einfach nie auf. »Ich bin aber nicht für die Unabhängigkeit«, erklärt er achselzuckend, »was soll das bringen?« Wählen darf er allerdings nicht, weil er in England wohnt.
Immerhin kann der 31-jährige Berwick-Rangers-Fan erklären, warum der Fußballklub in der schottischen Liga spielt: »Die Gegner sind näher.« Soll heißen: Hätten sie in der englischen Liga gespielt, müssten die Berwick-Spieler weite Strecken fahren, um gegen ihre Liga-Kontrahenten zu spielen.
Bis zur Verwaltungsreform 1974, als Berwick in die Verwaltungseinheit Northumberland eingegliedert wurde, hatte Berwick Sonderrechte. Seit dem »Wales and Berwick Act« von 1746 musste die Gültigkeit eines englischen Gesetzes für Berwick-upon-Tweed im Gesetzestext ausdrücklich vermerkt werden. Das führte auch zu der mit Abstand amüsantesten Anekdote der Stadt: der Mythos vom Kriegszustand mit Russland. Wegen der staatsrechtlichen Sonderstellung musste Berwick in jeder offiziellen Bekanntmachung immer gesondert erwähnt werden. Dazu soll 1854 auch die Kriegserklärung gegen Russland im Krimkrieg gehört haben. Beim Friedensvertrag von 1856 sei Berwick aber vom Dokument verschwunden, erzählt Kommunalpolitiker John Robertson. Formal habe sich Berwick also 113 Jahre mit Russland im Krieg befunden. Laut Recherchen britischer Medien handelt es sich dabei allerdings um einen Mythos - Berwick war schon bei der Kriegserklärung vergessen worden.
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