Krim-Krise: Merkel verschärft Ton gegenüber Putin
»Swoboda« und »Rechter Sektor« verboten / G7-Staaten warnen Russland vor Annexion der Krim / Luftraum über der Krim eingeschränkt / Kanzlerin reist nach Polen
Berlin. Hart wie nie zuvor hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dem russischen Staatschef Wladimir Putin wegen der Krim-Krise mit dauerhaften Konsequenzen gedroht. Im Schulterschluss mit Polens Ministerpräsidenten Donald Tusk kündigte Merkel am Mittwoch in Warschau für die nächste Woche die zweite Stufe der Sanktionen mit Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen Moskau an, wenn die ukrainischen Halbinsel Krim an Russland angegliedert wird. Ferner soll bereits Ende nächster Woche der erste Teil des Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine unterzeichnet werden. Merkel sagte: »Wir haben einen sehr ernsten Konflikt innerhalb Europas.« Und: »Ich glaube, dass wir einen sehr langen Atem brauchen.« Sie betonte: »Wir müssen erkennen, dass wir keine Fortschritte gemacht haben.«
Tusk sagte, in dem Konflikt mit Russland bestehe die Gefahr, »dass die Ukraine zugrunde geht«. Die wirksamste Form der Druckausübung auf Moskau sei die Hilfe für Kiew. So soll es auch Erleichterungen für Exporte der Ukraine in die EU geben. Eine deutsch-polnisch-französische Gruppe soll dem Land beim Umgang mit den in Aussicht gestellten Milliardenzahlungen des Westens helfen. Merkel sagte: »Wir lösen unsere Konflikte nicht militärisch, das haben wir gesagt. Aber wir gehen den Konflikten auch nicht aus dem Weg.« Die Kanzlerin betonte erneut, dass sie für Putin gesprächsbereit bleibe und er mit einer Beteiligung an einer Kontaktgruppe zur Lösung des Konflikts die Lage deeskalieren könne. Wenn es aber keine Deeskalation von russischer Seite gebe, »wovon man Stand heute leider ausgehen muss«, würden die EU-Außenminister am Montag die zweite Stufe der Sanktionen mit ersten Beschlüssen umsetzen. Die Bundesregierung ließ offen, ob die für April geplanten deutsch-russischen Regierungsgespräche stattfinden werden.
Beim ersten Teil des Assoziierungsabkommens geht es unter anderem um die Zusammenarbeit in der Außen- und Justizpolitik. Er soll nun bei der Sitzung des Europäischen Rats Ende nächster Woche unterzeichnet werden. Tusk sagte, es sei wichtig, dass die EU weiter so geschlossen auftrete. Der Konflikt könne Jahre dauern. Der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch hatte Ende November das Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt, nachdem Russland dem Nachbarland mit Wirtschaftssanktionen gedroht hatte.
Der Westen sollte sich nach Ansicht der Linkspartei-Vizevorsitzenden Sahra Wagenknecht mit einer möglichen Angliederung der Krim an Russland abfinden. »Es gibt machtpolitische Gegebenheiten, die man akzeptieren muss.« An diesem Sonntag findet auf der Krim das umstrittene Referendum über den Anschluss der Ukraine an Russland statt.
»Swoboda« und »Rechter Sektor« verboten
Mit rechtsradikalen Parteien möchte die nach Russland strebende Schwarzmeer-Halbinsel Krim nichts zu tun haben. Ihr Parlament in Simferopol verbot die ultranationalistische Partei »Swoboda« sowie die rechtsradikale Kampftruppe des Maidan »Rechter Sektor«. Die von dem Juristen Oleg Tjagnibok geführte »Swoboda« (Freiheit) ist in der ukrainischen Regierung vertreten. Die ultranationalistische Gruppe Rechter Sektor (Prawy Sektor) gilt als militanter Kern der Proteste gegen den entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Sie ist offiziell kein Teil der Regierung. Einigen Regierungsmitgliedern werden aber Verbindungen zu der Gruppe nachgesagt. In dem Beschluss vom Dienstagabend hieß es laut russischen Medien, dass diese Organisationen für die Bevölkerung der Krim »Lebensgefahr« bedeuten würden. Deren Behörden würden alle Maßnahmen treffen, um das Eindringen von »Extremisten zu verhindern«. Nach Angaben des Parlamentsvorsitzenden Wladimir Konstantinow könnten in kurzer Zeit bis zu 7000 Bewaffnete mobilisiert werden. Die »Selbstverteidigungskräfte« auf der Halbinsel bezifferte er auf bisher bereits mehr als 3000 Mitglieder. Sie sollen bei dem Referendum am kommenden Sonntag auch die Wahllokale schützen.
Zentralrat der Juden beunruhigt
Der Zentralrat der Juden zeigt sich beunruhigt angesichts rechter und ultranationalistischer Kräfte in der ukrainischen Übergangsregierung. »Hier muss Europa ganz genau hinsehen, kritisch und ohne Naivität, und darauf achten, dass Rassismus und Antisemitismus in der Ukraine nun nicht etwa salonfähig werden«, sagte der Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, am Mittwoch »Handelsblatt Online«. »Unter keinen Umständen dürfen wir hinnehmen, dass in dieser Zeit der radikalen Umwälzungen radikale und menschenfeindliche Gruppierungen ihren Einfluss ausweiten und Minderheiten bedrohen können.« Juden seien in solchen Situationen immer in Gefahr, »als Sündenböcke missbraucht zu werden«, sagte Graumann weiter.
G7-Regierungschefs warnen vor Annexion der Krim
Regierungschefs der sieben führenden Industriestaaten (G7) haben Russland vor einer Annexion der Krim gewarnt. In einer gemeinsamen Erklärung vom Mittwoch heißt es, Moskau müsse »Maßnahmen zur Unterstützung eines Referendums über den Status der Krim« beenden. Die Volksabstimmung verstoße gegen ukrainisches Recht und das Völkerrecht. »Ein solches Referendum hätte keine Rechtskraft«, heißt es in der Erklärung. Russland wird aufgefordert, seine Truppen auf der Krim »auf die Vor-Krisen-Stärke zurückzuführen«. Der G7 gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA an.
Führung der Krim schränkt Luftraum ein
Die Führung der Krim schränkt den Luftraum über der Halbinsel bis nach dem umstrittenen Referendum über einen Beitritt zu Russland ein. Damit solle die Ankunft von »Provokateuren« aus Kiew und der Westukraine verhindert werden, sagte der selbst ernannte Vizeregierungschef Rustam Temirgalijew am Mittwoch der Agentur Interfax. Die Maßnahme gelte bis zum 17. März, einen Tag nach der Volksbefragung. Bereits am Vortag waren mehrere Verbindungen von Simferopol in die Hauptstadt Kiew sowie nach Istanbul gestrichen worden. Die türkische Metropole ist ein beliebtes Reiseziel für Angehörige der muslimischen Minderheit der Krimtataren.
Derweil könnten sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen nach Ansicht des Russlandbeauftragten der Bundesregierung weiter verschlechtern. »Völlig ausschließen kann man nicht, dass es noch weiter schlechter wird, weil wir nicht wissen, wie die russische Seite weiter agiert«, erklärte Gernot Erler (SPD) am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Die Pläne des Kremls für die Zeit nach dem Referendum auf der Krim seien nicht vorhersehbar. Russland werde dann möglicherweise versuchen, weitere Teile der Ukraine abzuschneiden, sagte Erler. Oder es werde doch noch zu der von Deutschland unterstützen Kontaktgruppe kommen.
Merkel will »gewisse Härte« gegen Moskau
Inmitten der Krim-Krise reist Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch nach Polen. In der Hauptstadt Warschau will die CDU-Politikerin mit Ministerpräsident Donald Tusk über den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland beraten. Tusk befürchtet ein zu zaghaftes Vorgehen Deutschlands und der Europäischen Union gegenüber Moskau aus Rücksicht auf Gas-Geschäfte. Er ist besorgt, eine Eskalation im Nachbarstaat Ukraine könnte auch Polen in Schwierigkeiten bringen. Tusk und Merkel kommen zu einem Vier-Augen-Gespräch zusammen und wollen anschließend (15.15 Uhr) über ihre Vereinbarungen berichten.
Merkel sprach sich derweil für einen besonnenen, aber bestimmten Kurs Europas gegenüber Russland aus. Außer von Sensibilität müsse das Handeln aber auch von »einer gewissen Härte« geleitet sein, was die Verteidigung europäischer Werte anbelange, sagte Merkel am Dienstag nach Teilnehmerangaben in einer Sitzung der Unionsfraktion. Mit Blick auf die Situation der Krim sprach die Kanzlerin von »einer Annexion«. Russlands Vorgehen verstoße gegen alle völkerrechtlichen Regelungen, die in der Nachkriegszeit aufgestellt worden seien.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier knüpfte die nächste Stufe der EU-Sanktionen - Kontensperrungen und Einreiseverbote gegen russische Staatsbürger - direkt an die Volksabstimmung am Sonntag. »Wenn das Referendum nicht verschoben wird, dann wird man spätestens am Montag eine weitere Entscheidungsstufe haben«, sagte der SPD-Politiker bei einer Reise durchs Baltikum in Riga.
Inzwischen hat Altkanzler Helmut Kohl den Umgang des Westens mit Russland und den Kurs gegenüber der Ukraine kritisiert. »Die Aufbruchstimmung in der Ukraine wurde nicht mehr klug begleitet. Ebenso hat es an Sensibilität im Umgang mit unseren russischen Nachbarn gemangelt, insbesondere mit Präsident Putin«, sagte er laut »Bild«-Zeitung.
Die Volksvertretung in Simferopol hatte am Dienstag die Unabhängigkeit der Schwarzmeer-Halbinsel erklärt. Der Schritt sei juristisch notwendig für das Referendum am Sonntag und den geplanten Beitritt der Krim zur Russischen Föderation. Die ukrainische Verfassung verbietet solche Abstimmungen in einzelnen Gebieten des Landes. Der Westen hält den gesamten Abspaltungsprozess für völkerrechtswidrig. Die EU hatte deshalb in der vorigen Woche einen Drei-Stufen-Plan beschlossen, falls sich Russland von der Krim nicht zurückzieht. Als erster Schritt wurden die Verhandlungen mit Moskau über Visa-Erleichterungen für Russen ausgesetzt. Auch über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland wird vorerst nicht weiter verhandelt. Die EU hat für den Fall einer Eskalation der Lage auch härtere Strafmaßnahmen bis hin zu Wirtschaftssanktionen gegen Russland angekündigt.
Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk will sich derweil der Rückendeckung der USA versichern. Dazu wollte er am Mittwoch mit Präsident Barack Obama in Washington zusammenkommen. Mit dem Besuch werde die starke Unterstützung der USA für das ukrainische Volk unterstrichen, teilte die US-Regierung mit. Es gehe um eine friedliche Lösung des Krim-Konflikts.
Das US-Repräsentantenhaus warf Russland in einer Resolution die Verletzung der ukrainischen Souveränität vor. Die am Dienstag verabschiedete Entschließung, die auch noch den Senat passieren muss, fordert ferner die Entsendung internationaler Beobachter auf die Krim und in andere Teile der Ukraine. 403 Abgeordnete stimmten für den Text, nur sechs waren dagegen. Bereits in der Vorwoche hatte das Abgeordnetenhaus in Washington den Weg frei gemacht für Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde US-Dollar (727 Millionen Euro). Auch dieses Gesetz muss noch vom Senat angenommen werden.
Die Bundeswehr bringt indes am Mittwochnachmittag 24 verletzte Ukrainer nach Deutschland. Ein Airbus wird am Nachmittag am Flughafen Berlin-Tegel erwartet. Die Patienten kommen zur Behandlung in Berliner Krankenhäuser, aber auch nach Ulm und Koblenz. Agenturen/nd
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