Stirb langsam

Mittelkürzungen bei Theatern und Orchestern bedrohen Ensembles, kulturelle Traditionen und soziale Strukturen der Bühnen in Halle, Dessau und Eisleben

  • Burga Kalinowski
  • Lesedauer: 17 Min.

Ausgerechnet Eisleben. Ironie der Geschichte: Hier wurde am 13. Juli 1945 das erste Theater in Deutschland nach dem Krieg gegründet - von Ralph Wiener, einem 21-jährigen Österreicher. Unterstützt hat ihn ein Offizier der Roten Armee. Das Ausflugslokal »Terrasse« wurde zum Bürgertheater Eisleben und erhielt 1953 den Namen Thomas Müntzer. Gute Namen, die hätten bleiben sollen - gerade hier in dieser Region. Seit 1990 heißt das Haus nicht mehr nach Luthers rebellischem Zeitgenossen, sondern nur »Landesbühne Sachsen-Anhalt«. Nun soll die auch noch verschwinden. Weil eine Landesbühne Anspruch auf Fördermittel hat. Die sollen aber eingespart werden. Und Theater darf das Theater sowieso nicht mehr heißen. Sonst gibt es kein Geld. Für nix. Egal, wie es heißt und was es macht.

Nicht verschwunden mit dem Namen ist der Widerstandsgeist Müntzers. In Eisleben zogen Theaterleute und Publikum gemeinsam gegen die Entscheidung der Landesregierung auf die Straße. Die hatte dem Theater ab 2014 den Förderzuschuss auf Null gestrichen. Todesurteil im Namen der CDU/SPD-Koalition. Demonstrativ trugen Zuschauer und Theater daraufhin symbolisch die Landespolitik zu Füßen des Lutherdenkmals zu Grabe - und ließen ihr Theater auferstehen: Ein Harlekin entsprang dem Sarge und wurde samt seiner Botschaft - Theater lebt - jubelnd begrüßt. »Nicht ohne uns« ist auch das Motto der Spielzeit 2013/2014. Versprechen und Kampfansage der Truppe um Intendant Ulrich Fischer gegen eine kulturelle Eiszeit in Eisleben. »Wir wehren uns entschieden dagegen und hoffen auf Ihre Unterstützung«, informiert die Homepage des Theaters Zuschauer und Sympathisanten. Inzwischen zeigt sich ein Weg zwischen Weitermachen oder ganz weg. Wie sicher der ist, werden die nächsten Wochen zeigen. Im Moment möchte der Theaterleiter keine Statements abgeben. Wenig Zeit und außerdem steht zu viel auf dem Spiel. Noch ist der Vertrag nicht unterschrieben. »Fragen Sie Stephan Gebhardt, der kennt sich aus.«

Anfang März Fahrt nach Sachsen-Anhalt ins Theater Halle, Gespräch mit Intendant Matthias Brenner. Dann nach Eisleben zum Termin mit Stephan Gebhardt, dem kulturpolitischen Sprecher der linken Landtagsfraktion und mit Angelika Klein, haushaltspolitische Sprecherin der LINKEN im Landtag, sie kandidiert für das Amt des Landrates bei den Kommunalwahlen am 25. Mai. Im Landtag stellen die LINKEN mit den Grünen die Opposition, die leider zu schwach ist, um solche kulturpolitischen Metzeleien zu verhindern. Von feudalistischen Allüren der Regierungskoalition ist die Rede im Lande und ein verärgerter Taxifahrer in Halle sprach von Pfaffenkamarilla.

Das ist deutlich. Nicht, dass Taxifahrer das Evangelium verkünden, doch Volkes Stimme sind sie allemal. Der Fahrer, der mich in Eisleben zum Bahnhof brachte, war sogar bei den Demonstrationen dabei. Seine Stadt ohne Theater? »Dann wäre hier gar nichts mehr, nur tote Hose.« Schlecht fürs Geschäft und »es fehlt auch was für den Kopf und fürs Herz. Ist doch so. Das kann doch nicht immer alles nur vom Gelde abhängen.« Sonst würde die Kohle mit vollen Händen rausgeschmissen. Wo denn? »Na, 2012 die Diätenerhöhung für den Landtag oder sinnlose und teure Baugeschichten, jetzt wieder in Magdeburg der Tunnel am Damaschkeplatz.« Eins käme zum anderen: Kungelei, Schlamperei und Unfähigkeit. »Sie sind doch aus Berlin - da fragen Sie noch?«

Das Theater Eisleben liegt topografisch und finanzpolitisch am Rande der Stadt. Nur einige Steinwürfe entfernt, an Luthers Geburtshaus und ringsherum, wird augenscheinlich, wie respekt- und liebevolle Förderung aussehen kann. Propper. Sehr propper. Hut ab. Da nehmen wir mal richtig Geld in die Hand, ist die gängige Politphrase für solche Prestigeprojekte. Für eine restaurative Gedenkpolitik mit freundlichem und folgenfreiem Blick in feudale Vergangenheiten.

Damit hat zu tun, wer nach Sachsen-Anhalt fährt. Wer in Eisleben vor Luthers Geburtshaus steht, auf dem Lutherweg wandelt, die Lutherhöfe besichtigt, das Lutherdenkmal betrachtet, an Luthers Sterbehaus verharrt, am jährlichen Fest der Einschulung Luthers teilnimmt und all die Ehrungen bedenkt zurück bis 1946, wo unter roter Fahne und Roter Armee der Ort bereits den Namen Lutherstadt erhielt - wer das Programm also touristisch hinter sich und immer noch die Theatermisere des Landes im Kopf hat, fragt irgendwann auch nach Luthers Lokus.

Und erhält Antwort. »Tja«, sagt Dr. Angelika Klein, »Sie werden sich vielleicht wundern.« Aber die Inhalte der Klogruben des Luther-Elternhauses in Mansfeld und seines Wohnhauses in Wittenberg seien sorgfältig geborgen, wissenschaftlich untersucht, Ergebnisse und gewonnene Erkenntnisse dem Volk in einer schönen Ausstellung im Landesmuseum Halle zugänglich gemacht wurden. Und dann entstand daraus auch noch ein Luther-Kochbuch. Kochen & kacken bei Luthers? Na fein. Gesponsert aus Steuermitteln. Weitere zwei Millionen gingen zusätzlich an das Landesamt für Denkmalschutz. Für die Lutherdekade 2007 bis 2017 wurden 75 Millionen lockergemacht. Dafür ist Geld da? Ja, das ist Beschluss der Regierung, meint Angelika Klein.

Aber auf einen Gegensatz Luther oder Theaterlandschaft will sie sich nicht einlassen. Theater und Luther ist ihre Position. So viel Kultur muss sein. Und das Geld? Da lächelt sie und sagt unvermutet: »Kein Geld ist nicht der Grund für Kürzungen. Geld ist durchaus da.« Wow. Ein Beispiel: Allein die Steuermehreinnahmen des Landes von 120 Millionen ließen ohne Gefahr für den Schuldenabbau eine Rücknahme der Kürzungen zu. 92 Millionen für Kultur erhielt das Land von der EU. Die LINKE habe der SPD als gemeinsame Lösung eine belastbare Gegenfinanzierung vorgeschlagen, aber »das hat die nicht interessiert«. So sieht es aus.

»Politischer Brückenbau«, ergänzt Stephan Gebhardt, »bringt gar nichts. Es werden alte ideologische Schlachten geschlagen und den Schaden haben die Leute.« Besonders den Bühnen in Halle, Eisleben und Dessau wird die Luft abgewürgt. Drei Millionen Euro weniger erhält Halle bereits seit dem 1. Januar, 2,5 Millionen fehlen in Dessau, die Förderung für die Landesbühne Eisleben soll bis 2015 schrittweise auf 400 000 Euro zurückgefahren werden, geplant waren wie gesagt null. Die nun für Eisleben gefundene Überlebensvariante ist ein Ergebnis der Proteste, heißt Kulturwerk GmbH und ist für Gebhardt »ein ganz schmaler Weg. Nicht gut, aber besser als gar nichts. Hauptsache erst mal runter vom Totenbett.« Nach der Landtagswahl 2016 beginne ein anderes Stück.

Bis dahin wird geblutet. Um rund sechs Millionen Euro auf 30 Millionen kürzt das Land die Fördermittel für seine Theater. Sie sind die Opfer des Haushaltes 2014 und die offenbar ungeliebten dienstlichen Pflegekinder des Kultusministers Stephan Dorgerloh.

Der ehemalige Prälat und Verantwortliche für die Lutherdekade wurde 2011 ins Kabinett nach Magdeburg berufen und wirkt dort als SPD-Mann fürs Kulturelle nicht gerade segensreich. Nicht nur der bundesweit als Skandal registrierte Umgang mit dem bisherigen Bauhausdirektor lässt am Kulturbegriff des Ministers zweifeln. Nach wie vor haben die Theater Dessau, Halle und Eisleben für den Zeitraum 2014 bis 2018 keinen für die Finanzplanung notwendigen Theatervertrag mit dem Land in der Hand. Das Land schachert mit den Künstlern und Kommunen, bevorzugt die Hauptstadt Magdeburg zum Nachteil von Halle, Dessau und der sogenannten Fläche, womit die strukturärmeren Regionen gemeint sind. Also die, die trotz leerer Kassen ihre Theater behalten wollen, aber finanziell nicht so können wie sie wollen.

Ralf Schönemann, Stadtrat und Fraktionschef der LINKEN in Dessau, weiß leider nur zu gut, wovon er redet. »Von wegen: Einer trage des anderen Last. Leeres Geschwafel - in der politischen Praxis werden die Kosten den Schwachen übergeholfen.« In den betroffenen Städten wie eben Dessau diskutiere man besorgt den drohenden dauerhaften Verlust von kulturellen Werten und Sozialstrukturen durch gnaden- und konzeptlosen Abbau der Landesförderung. Das macht Schönemann Sorgen. »Theater ist ein Wirtschaftsfaktor der Stadt und seine Attraktivität Teil unserer Lebensqualität. Investoren interessieren sich dafür und wo sollen die Dessauer - Erwachsene und Kinder - denn ins Theater gehen, wenn nicht hier? Sollen die nach London jetten? Wann hört die Politik der Ignoranz mal auf?«

Gute Fragen und keine Antworten. Es ist nicht lange her, da wurden die Theater in Bernburg, Zeitz und Wittenberg geschlossen, das Thalia-Theater in Halle (in der DDR war dies ein Kinder- und Jugendtheater) als Spielstätte aufgegeben. Vielleicht existiert ein geheimer Plan, der kulturfreie Zonen vorsieht. Sieht fast so aus.

Totengräber wird der fromme Kultusminister inzwischen genannt, macht trotzdem weiter wie bisher und behandelt Thalia, die Schutzgöttin des Theaters, wie eine lästige Magd, die doch besser still und dankbar schweigen sollte. Kluge Vorschläge eines eigens berufenen Kulturkonvents wurden in die Tonne getreten und den Intendanten dafür unannehmbare Konzepte vorgeschlagen. Strukturveränderungen und Anpassung nennen sich die Vorschläge im Rotwelsch der Politik und sind genau besehen eine Anleitung zum Suizid. Sittenwidrig, könnte man sagen. Perfide und als eine Art Erpressung empfinden Theater und beteiligte Kommunen diese Taktik: Ihr dürft weitermachen, aber mehr Geld gibt es nicht. Lasst euch doch was einfallen, wie ihr spart und trotzdem arbeitsfähig bleibt. Jeder weiß: Das funktioniert nach dem Prinzip Aushungern. Schaufele dir dein Grab selbst. Stirb langsam.

So war die Lage im März. Akut ist die Situation nun schon seit Sommer 2013. Jetziger Stand: Vorschläge, Konzepte und Verträge schwirren hin und her, es wird diskutiert, verworfen, neu beschlossen. Manche Absprache ändert sich vom Mittwoch zum Freitag wie kürzlich in Eisleben. Trotzdem: Noch im ersten Halbjahr sollen die Entscheidungen fallen, die Verträge unterschrieben sein.

Roland Schinko, Vorsitzender des Vereins der Freunde des Theaters Eisleben macht sich keine Illusionen mehr. Schlimm sei nur, dass der Kürzungspragmatismus des Landes über das Theater hinaus eine verheerende Programmatik für den Südharz zeige. »Die Region wird immer ärmer und leerer.« Zynisch nennt er die Aufforderung, Synergieeffekte in dem rabiaten Konzept zu entdecken. Und Schandtat sei es, engagierte Theaterleute faktisch von der Bühne zu jagen. »Die Welt geht davon nicht unter, aber ein bisschen Zukunft geht verloren.« Die DDR hätte es begriffen gehabt: Theater ist ein Subventionsbetrieb. »Hier gab es sogar Festwochen extra für die Mansfeld-Kumpel. Die waren wirklich mit dem Theater verbunden. Es gehörte zum Leben dazu und kostete nur wenig.« Es musste sich nicht rechnen. Das macht den Unterschied.

Eisleben, Dessau, Halle. Orte und Regionen, auf Geschichte und Geschichten gebaut. Fast an jeder Ecke weht von früher und von ganz früher her ein Lüftchen der Hoffnung auf bessere Zukunft, auf leichteres Leben in gelingender Gerechtigkeit, auf Kultur ohne Not und Kabale. In den Bildern der Vergangenheiten rüttelt auch der Sturm des Aufruhrs gegen Galle, Gier und Gaunereien der Großkopfeten aller Zeiten. Doch hinterdrein fegten die Fürze der Obrigkeit den frischen Wind der hellen Haufen wieder beiseite. Immer und mit den Mitteln ihrer Zeit. Mit Knüppeln, Hellebarden und Gewehren, mit TV und Events, mit Breaking News und Feingeistern wird aufrührerische Bande zurück getrieben in die gute Stube des Grauens, des Gehorsams und der Gemütlichkeit. Wird mit Texten aus Talmi, Trost und Talent zum Stillstand bekehrt. Eiapopeia. Schlaft wieder ein, Verdummte dieser Erde. Vergesst auch die Erinnerung an verlorene Möglichkeiten.

Matthias Brenner, Intendant des Neuen Theaters Halle, holt vom Regal einen Stapel Briefe und Zeichnungen. Ungefähr 80 Blätter sind es. Kinder der Gerhart-Hauptmann-Schule in Roßleben haben sich »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« angesehen. Es hat ihnen sehr gefallen: die Täubchen, Aschenbrödel, die Musik, das Pferd, dass es auf der Bühne geschneit hat. Ganz toll war der laute Knall. Cool finden die Elf- und Zwölfjährigen ihren Theaterbesuch. »Ich will nächstes Jahr wiederkommen. Wichtig! Nicht schließen«, schreibt Maurice und hat das Wort wichtig extra eingekringelt. Ganz wichtig, bedeutet das. Vielleicht beginnt ja mit einem Knall im Märchenspiel die Liebe zum Theater. Und wenn nicht, »darf es trotzdem nicht sein, dass ihnen die Möglichkeit eines Theaterbesuches genommen wird.« Mit der Lüge vom Sparen zum Beispiel.

Das empört Regisseur und Schauspieler Matthias Brenner besonders. »Sparen? Jeder weiß, Sparen ist heute ein Synonym für Vernichtung. Ich habe gelernt: Man spart, um etwas zu schaffen.« Sprache, die gewiefte Vertuscherin - in Wahrheit wird Kultur abgeschafft. Brenner redet Klartext: »Wir sind nicht marktkonform. Wir sind kein Massenbetrieb. Wir werden nicht gebraucht, um Profit zu machen. Unsere Renditegarantie sind Fantasie und Fragen.« Theater sei ein Zuschussgeschäft und deshalb auf der Abschussliste. »Die Leute empfinden das als nicht richtig. Es verletzt ihr Grundgefühl für Gerechtigkeit.« Daraus komme die Lust auf Widerstand, die durch das Land geistert und ein Feuerwerk von Ideen entfacht habe. Diese Welle der Solidarität! So hat Matthias Brenner das nicht erwartet.

Olaf Schöder übrigens auch nicht. Brenner rief dann die »freie Kulturrepublik« aus und vom Dach seines Theaters einer begeisterten Menschenmenge »Wehrt euch« zu. Olaf Schöder, Sänger an der Oper Halle gründete die Volksinitiative »Kulturland Sachsen-Anhalt retten«. Er wird zum Motor der Initiative, sein Haus eine Zentrale des Protestes, auch die FDP-Politikerin Cornelia Pieper unterstützt ihn. Insgesamt 45 000 Unterschriften hat die Volksinitiative erhalten, 15 000 mehr, als für die Anerkennung gesetzlich erforderlich ist.

Von den eingereichten 31 400 wurden 30 773 Unterschriften anerkannt. Das bedeutete Rederecht im Landesparlament. 11. Dezember 2013: Im Namen der Bürger spricht Olaf Schöder über die großen Traditionen des Landes und von dem Skandal, dass »Geld für Banken in unübersehbarer Höhe ausgegeben wird.« Er fragt: »Leben wir tatsächlich in den schlechtesten Zeiten seit über 200 Jahren?« Können wir uns unsere Kultur nicht mehr leisten? Die Fragen bleiben und die Zukunft der Ensembles in Halle ist bis heute nicht gesichert. Brenner findet ein Bild für die Situation: »Im Moment fahren wir mit vermindertem Tempo auf den Eisberg zu.«

Am Bahnhof in Dessau frage ich eine Frau nach dem Weg zum Theater. »Was wollen Sie denn da?«, fragt sie zurück und erklärt: »Das soll doch sowieso weg.« So kann man es auch sagen.

Bei dem ersten Gespräch mit André Bücker, Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau ist die Existenz des Theaters hochgradig gefährdet. Er befürchtet das Ende als Fünfspartenhaus - wenn nicht noch Schlimmeres. Aber selbst wenn man das Schauspiel, das Ballett und das Puppentheater schließt, lassen sich keine drei Millionen Euro einsparen. Immer diese Milchmädchenrechnungen. Ach nee. André Bücker fasst sich an den Kopf. Er sucht nach Worten. Unsinnig, sagt er. Total unsinnig. Vermutet einen ministergebundenen ideologischen Holzweg. »Was hier mit der Kultur gemacht wird, ist nicht nur ein Imageschaden für das Land, es ist gemeingefährlich. Die Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt hat weder Kultur, noch verdient sie die Bezeichnung Politik. Aber wir haben eine Verpflichtung: den Mitarbeitern gegenüber und vor allem gegenüber unserem Publikum.«

In der Theaterkantine treffe ich Franziska Blech, Pressechefin, und Natalie Hünig und Karl Thiele, beide Mitglieder des Schauspielensembles. Sie erzählen von Empörung, beschreiben Zukunftsängste, begründen ihr Unverständnis für die Fallbeilpolitik. Immer wieder ist von ihrer Arbeit die Rede. Im Wortsinne ihr Lebenselixier. Wir sind mental intakt, sagte André Bücker über das gesamte Ensemble. Franziska Blech zeigt Fotos von der Aktion, das Theater anzubinden an seinen Platz in der Kommune - ein großartiges Spektakel. Eigentlich schon ein Volksfest. »Das hätten Sie erleben müssen.« Ja, schade. Natalie Hünig ist mit nach Berlin gefahren, um direkt vor der SPD-Zentrale alte Arbeiterlieder singend gegen die geplante Vernichtung ihrer Arbeitsorte zu protestieren. Und Karl Thiele zog vorneweg, als Demonstranten sieben Mal den Landtag umrundeten und nach dem biblischen Vorbild des Kampfes um Jericho siebenmal die Posaunen erschallen ließen. Deutlich, wie schon lange nicht mehr, wurde denen da oben gezeigt, dass die da unten die Nase voll haben.

Wie in der Bettleroper »The Beggar's Opera / Polly«, die im Rahmen des Kurt-Weill-Festes am 22. Februar Premiere hatte. Die Inszenierung des historischen Stückes durch André Bücker entlarvt die politische Gegenwart und stellt der Landesregierung ein Armutszeugnis im Grundkurs Demokratie aus. In der Pause meint eine Besucherin aus Magdeburg, dass die Zeit wieder reif sei - »wie 1989«. Silvia Sch. zitiert einen Song aus der Inszenierung: »Ihr haltet uns vielleicht für leicht entbehrlich, doch könnt es sein, dass man bald euch entbehrt.« Es passt zur politischen Lage im Lande und beschreibt die Stimmung. Auch andere Stücke des Spielplans haben den Sound der Wirklichkeit. Die Bühne wird zur Tribüne. In seinen besonderen Momenten berührt Theater nicht nur. Es macht wach. Der Skandal als Signal.

André Bücker kritisiert nicht allein die Mittelkürzung. Nicht nachvollziehbar sei eine betuliche, ins Historisierende schweifende Kulturpolitik, die Museen bauen, aber Theater, Bibliotheken und Orchester und - wen wundert es - auch Schulen schließen lässt. Er sieht totalitäre Züge in der ministerialen Ignoranz gegenüber einer lebendigen Theaterkultur und pastorale Arroganz gegenüber demokratischen Bürgerprotesten, wie sie sich im Lande in den vergangenen Monaten entwickelt haben. Da bleibt einem die Luft weg, sagt der Intendant. »Aber die Leute lassen sich nicht mehr hinhalten. Sie wollen ihre Theater ganz behalten. Nicht zerstückelt. Die Zukunft des Hauses? Ein Torso, der der Schließung entgegenzuckt.«

Es braucht keine Fantasie, um zu begreifen, was die Glocke schlägt: Sparen mit der Axt. Kahlschlag. Ende der Vorstellung? Nicht ganz. Am Donnerstag dieser Woche bestätigte André Bücker, dass es weiter geht. Die Belegschaft hat sich zu 97 Prozent für ein Teilzeitarbeitsmodell der Stadt entschieden. Laufzeit bis 2018. Vier Sparten. Es gilt Haustarif, das heißt die Belegschaft verzichtet auf zehn Prozent des üblichen Tarifs wie schon seit zehn Jahren. Keine Kündigungen. Keine Neueinstellungen. Es wird eng. Und ist vielleicht doch ein Hoffnungsschimmer? André Bücker sieht es nüchtern: Abwarten. Noch gibt es keinen Vertrag.

Das Theater Eisleben steht immer noch auf der Roten Liste der bedrohten Kultureinrichtungen unter der Rubrik Schließung. Vorhang runter - 69 Jahre nach Theatergründung. Kurz vorm 70. Geburtstag. Eine schlechte Geschichte, diese Geschichte. Zu gern würde ich darüber mit einem Zeitzeugen von damals reden. Recherche nach jemandem, der 1945 die Theatergründung erlebt hat. Suche auch nach Ralph Wiener. Vielleicht ...? Tatsächlich ein Eintrag im Telefonbuch. Anruf. »Herr Wiener ...?« Er ist es. Glück gehabt.

Die Blumen in der Stube sind noch vom 90. Geburtstag seiner Frau Gertrud. Ich sehe mir Bilder im Familienalbum an, er zeigt mir den Weg durch die Wiesen, den sein Großvater mütterlicherseits vor gut 100 Jahren von diesem Haus zum Schacht ging, er spielt Ludwig van Beethoven und Wiener Walzer auf dem Blüthner-Flügel. Zum Schluss drückt er mir einen ganzen Packen Theaterplakate der Jahrgänge 1945/46 in die Hand. Darunter das Plakat zur ersten Vorstellung: »Großer bunter Abend« am 1. August, 19.30 Uhr. Ein Riesenerfolg. So geht es weiter und ist immer ausverkauft. Curt Goetz, Jüdische Lieder, Weihnachtsmärchen, Schillers »Kabale und Liebe«. Das Bürgertheater Eisleben wird zur Bühne für Zuversicht und Zukunft. Eine moralische Anstalt. Die Zeit hat es nötig. Heiter und gelassen, mit Sinn für Effekte erzählt Ralph Wiener von seinem jüdischen Vater aus Wien und seiner Mutter aus dem Mansfeld, von Liebe, Krieg und Überleben. Von seiner Hochzeit mitten im damaligen Premierenfieber. Eine schöne Geschichte, diese Geschichte.

Von einem jungen Mann, der die Künste liebt und sich 1945 in der »Stunde Null« ins Eislebener Leben stürzt. Auf der ersten Tagung im Rathaus stellt er den Antrag, ein Theater zu gründen. Der amerikanische Besatzungsoffizier Aaron Spiegel findet die Idee gut, aber die Zeit nicht reif. Dann wechseln die Mächte, die Russen kommen und der für Kultur zuständige Major Panzina sagt dem enthusiastischen Antragsteller: »Versuchen Sie es. Machen Sie den Menschen Freude.« Am 13. Juli 1945 hat der junge Mann die Konzession und ist - hoppla - Theaterdirektor. Später studiert er in Halle Jura und als Rechtsanwalt das Leben. Aus den Alltagserfahrungen mit Menschen und mit der DDR macht er Texte für Kabaretts und die Zeitschrift »Eulenspiegel« - und sich als Ralph Wiener einen Namen.

»Wenn Sie kommen, klingeln Sie bei Ecke«, hat er zum Schluss noch gesagt. Felix Ecke sei sein richtiger Name, Ralph Wiener ein Pseudonym. Eine Theatergeschichte. Nun ist sie zu Ende. Fast. Was soll man da noch sagen?

Am besten ein Müntzer-Wort. In der »Hochverursachten Schutzrede« und »Antwort wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg« sagte Thomas Müntzer dem Martin Luther eine Wahrheit seiner Zeit. Aller Zeiten: »Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? So ich das sage, muss ich aufrührisch sein! Wohlhin!«

Und weiter schrieb Müntzer dem einst verehrten Kirchenmann: »O Doktor Lügner, du tückischer Fuchs, du hast durch deine Lügen das Herz des Gerechten traurig gemacht, den Gott nicht betrübt hat. Damit hast du gestärkt die Gewalt der gottlosen Böswichter, auf dass sie je ja auf ihrem alten Wege bleiben. Darum wird dir's gehen wie einem gefangenen Fuchs. Das Volk wird frei werden, und Gott will allein der Herr darüber sein! Allstedt, Anno 1524.«

Welch ein Text. Welttheater aus der Provinz.

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