An den Engpässen wartet die Menschheit

Das Film- und Fernsehmuseum in Berlin ehrt Alexander Kluge mit einer Ausstellung

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Alexander Kluge muss ein glücklicher Mensch sein, denn er kann sich den Luxus leisten, sich im Fernsehen mit Dingen zu beschäftigen, die kaum jemanden interessieren. Oder doch umgekehrt? Er zeigt in seinen TV-Produktionen Themen, die uns alle beschäftigen und die deshalb ganz ohne Quotendruck im Fernsehen gezeigt werden, um zu demonstrieren, dass das Medium Fernsehen darauf beharrt, Teil der Kulturlandschaft zu sein? Es sind die ganz großen Fragen, mit denen sich Kluge auseinandersetzt: Was ist der Mensch? Woher kommen wir? Wie wurde die Welt so, wie sie heute ist?

Der nunmehr 82-Jährige ist ein unermüdlicher und unerschrockener Freund der Fernsehkultur. Mit seiner Firma dctp.tv produziert er nach wie vor fürs Fernsehen Perlen der TV-Kultur. Durch unternehmerisches Geschick gelingt es ihm seit fast 30 Jahren, diese den Kommerzsendern unterzuschieben - Sendungen, die im besten Sinne als Bildungsfernsehen bezeichnet werden können und damit der eigentlichen Programmstruktur der Privaten zuwider laufen.

Seit Anfang April setzt ihm dafür das Film- und Fernsehmuseum in Berlin mit einer Ausstellung ein Denkmal. »70 000 Jahre wie ein Tag« versammelt die wichtigsten Interviews, die Alexander Kluge in den letzten Jahren zur Entstehungsgeschichte des Menschen geführt hat. Er hat mit Biologen, Verhaltensforschern, Sprachwissenschaftlern, Philosophen, Paläontologen auf seine unnachahmliche Art gesprochen: Interviews, die nicht aus Chronistenpflicht entstanden sind, sondern aus der Lust, Neues zu entdecken, die Grenzen des eigenen Wissens zu sprengen, Erkenntnisse zu hinterfragen.

Kluges Interviews sind Zitatenfundgruben. Einige davon hat das Museum mit Kreideschrift auf Schiefertafeln festgehalten und so einen Kontrast zu den vielen elektronischen Installationen in der sich auf mehrere Stockwerke verteilenden Ausstellung geschaffen. »An den Engpässen wartet die Menschheit«, ist ein solcher Satz. Immer, so dessen hintergründige Aussage, waren es die Katastrophen der Menschheitsgeschichte, an denen wir wuchsen und unser Überleben sicherten. Vor gut 70 000 Jahren brach nach der Supervulkan Toba aus, verdunkelte weltweit den Himmel, versengte die Erde, zerstörte auf viele Jahre die Vegetation. Am Ende, so der aktuelle Forschungsstand, lebten nur noch knapp 7000 Menschen auf der Erde. Eigentlich zu wenige, um die Art zu erhalten. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hat die Menschheit dennoch überlebt. Aus einem solchen Ereignis müsse man Hoffnung schöpfen, sagt Kluge. »Wir sind zu komplex, zu erfahren mit Katastrophen, als dass wir vollständig untergehen können«, meint er. Nicht einmal der Mensch selbst könne die Menschheit vernichten. Alexander Kluge ist ein unverbesserlicher Optimist.

Das Film- und Fernsehmuseum ergänzt die audiovisuellen Ausstellungsstücke von Kluge durch Objekte und Figuren aus seinem Arsenal. Das wirkt manchmal zufällig; was der Mantel Wilhelm von Humboldts aus dem Film »Die Vermessung der Welt« mit dem Rest der Ausstellung zu tun haben soll, erschließt sich dem Besucher nicht.

Dafür aber nutzt das Museum die Chance, Kluges Interview-Reihe mit Artefakten des Fernsehens zu verknüpfen. Auch das wirkt zufällig, dürfte aber ganz im Sinne des Fernsehfreundes Kluge sein. Videoinstallationen zeigen die Höhepunkte der deutschen Fernsehgeschichte. Die Krönung Elisabeth II. 1953 etwa oder der Sieg der bundesdeutschen Fußballmannschaft bei der WM 1954. Man kann sich die Bilder vom letzten Auftritt des sterbenskranken Papst Johannes Paul II. im April 2005 ebenso noch mal in Endlosschleife ansehen wie den ersten Wimbledon-Sieg des Tennisspielers Boris Becker 1985. Es sind Momente eines gesamtdeutschen TV-Gedächtnisses, an die sich alle gleichermaßen erinnern können.

Die Ausstellung »70 000 Jahre wie ein Tag« von Alexander Kluge, ist bis zum 27. Juli 2014 täglich außer Montags im Berliner Film- und Fernsehmuseum zu besichtigen.

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