Das zerstörte Paradies

Hans Christoph Buch auf den Spuren Emil Noldes in der Südsee

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

Emil Noldes Neuguinea ist nicht das von heute, das Hans Christoph Buch bereist. Dazwischen liegen 100 Jahre. Und doch geht damals wie heute eine beinahe unwiderstehliche Faszination von jenen Inseln im Pazifik aus, die im Klischee der westlichen Welt als Paradies auf Erden erscheinen.

Beide Reisenden aber haben erfahren, dass die Wirklichkeit dort keineswegs paradiesisch ist. Als der Maler Emil Nolde 1913 mit seiner Frau Ada eine wochenlange Schiffsreise dorthin antritt, ist Neuguinea eine deutsche Kolonie, Kaiser-Wilhelms-Land genannt, umgeben vom Bismarck-Archipel. Der Traum des Kaiserreichs führt zu makaberen Ergebnissen. Nolde, dessen Bilder damals nur der kunstfördernde Harry Graf Kessler kauft, steckt in einer Schaffenskrise und nimmt die Einladung an, als (wenn auch selbstzahlendes) Mitglied an einer Expedition teilzunehmen, ausgerüstet vom Reichskolonialamt. Maler sind Augenmenschen, und für ihn wird die Reise - allen Strapazen zum Trotz - zum Urerlebnis, zum Auslöser einer ganz neuen Schaffensperiode. Wo er geht und steht, skizziert er, malt Landschaften, Menschen, Kultgegenstände des Papuavolkes. Er saugt auf und sammelt in seinem Reservoir, was immer er sehen kann.

Ungefährlich ist die Reise nicht. Malariamücken, grässliche, 6 Meter lange Krokodile, eine wahnsinnig hohe Luftfeuchtigkeit in der allgegenwärtigen Hitze, tagelange tropische Regengüsse und nicht zuletzt menschenfressende Ureinwohner im Dschungelgebiet sorgen für erhebliche Aufregung. Dennoch: Nolde führt ein Reisetagebuch, das die Realität mit voller Aufmerksamkeit registriert. Das Kolonisieren, so sieht er, war eine brutale Angelegenheit. Er nimmt die irrwitzigen Widersprüche der verbrecherischen Kolonialpolitik wahr. Nach der Rückkehr malt er seine Bilder, gesättigt von grellen und düsteren Farben. Gerät in einen Schaffensrausch. Sein Gemälde »Neu-Guinea-Wilde« zeigt die Augen der Menschen, schreckhaft geweitet vom blanken Entsetzen über den Untergang ihres Volkes. Was wir Europäer diesen Völkern gebracht haben, war dazu angetan, ein Paradies zu zerstören.

Der Schriftsteller Hans Christoph Buch ist ein Weltreisender mit einem Faible für entlegene Regionen. Seine Aufzeichnungen, einem anderen Zeitalter angehörend, sind nicht weniger aufschlussreich. Auch in vorangegangenen Büchern wie »Sansibar Blues« oder »Apokalypse Afrika« zeigt er sich als ein akribischer, die Wahrheit ergründender Erzähler. »Das Ende der Welt«, schreibt er, »ist immer anderswo«. Als er sich 2013 nach Papua-Neuguinea aufmacht, reist er unter gänzlich anderen Bedingungen, die beinahe Luxus sind. Doch dann der Kulturschock: ausgebrannte Panzer, Jeeps und Flugzeugwracks, überwuchert vom Dschungel, Reste aus dem Zweiten Weltkrieg, als Amerikaner und Japaner um die Inseln kämpften - Zeugnisse unserer »Zivilisation«. Die Kapitel seiner Reisenotizen sind denn auch anspielungsreich »Zurück in die Steinzeit« überschrieben. Heute pflegen die Einwohner von Papua-Neuguinea ihre uralten Rituale und Traditionen nur noch für den Tourismus.

Schließlich kontrastiert Hans Christoph Buch die Montage aus seinen und Noldes Reiseerfahrungen noch mit der Geschichte von Emma Forsayth-Coe (1850-1913), einer samoanisch-amerikanischen Unternehmerin, auch Queen Emma oder Kaiserin der Südsee genannt. Ihren immensen Reichtum hatte sie mit Kopraplantagen in »Deutsch-Neuguinea« gewonnen - eine haarsträubende Story, die das Ganze unbedingt zum Filmstoff prädestiniert. »Nolde und ich. Ein Südseetraum« erschient als Nr. 4 in der neuen Reihe »Kometen der Anderen Bibliothek« und ist ein großartiges Beispiel zeitgemäßer Reise- und Abenteuerliteratur.

Hans Christoph Buch: Nolde und ich. Ein Südseetraum. Die Andere Bibliothek, 128 S., geb., 18 €.

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