Gefährdete Spezies: Wissenschaft in Australien
Die konservative Regierung des Landes vertreibt nicht nur Klimaforscher. Massive Budgetkürzungen bedrohen praktisch die gesamte Forschungslandschaft des fünften Kontinents. Von Michael Lenz
Der australische Wissenschaftler David Sinclair gehört laut der neuesten Ausgabe des »TIME Magazine« zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Dem Professor für Genetik an der Harvard Universität in den USA wurde diese Ehre für seine Arbeiten zu Alterungsprozessen zuteil. Im Ausland zu forschen könnte auch für andere australische Wissenschaftler die Zukunft sein. Denn unter der Regierung von Premierminister Tony Abbott sieht es für die Forschung düster aus.
Seit September 2013 ist der erzkonservative Abbott, der sich gerne als »Bloke« (Kerl) inszeniert, im Amt. Blokes sitzen mit ihren Mates (Kumpels) am Stammtisch, machen sich über Frauen lustig und ziehen bierselig über Intellektuelle her. Da überrascht es nicht, dass an Abbotts Kabinetts(stamm)tisch nur eine Frau sitzt und die Abwicklung von Australiens Wissenschaft in Gang gesetzt wurde. Wissenschaftsministerium: abgeschafft. Wissenschaftliche Klimakommission: abgeschafft. Und die staatliche Organisation für anwendungsnahe Forschung CSIRO stellt sich schon mal auf eine Kürzung ihres Budgets um 20 Prozent ein.
Zwei »Spezies« dominieren die aktuelle australische Regierung: Katholiken wie Abbott und Klimawandelskeptiker wie sein Umweltminister Greg Hunt. Der Premier selbst schockte schon vor seiner Wahl Australiens Wissenschaftssektor mit der Ankündigung, in Bereichen wie Philosophie und Sozialwissenschaften, aber auch in der Grundlagenforschung mit »verschwenderischen Forschungsprojekten« rigoros aufräumen zu wollen.
Und diese Art Wahlversprechen hält Abbott: Verwaltungsbeamte anstelle von Expertengremien sollen in Zukunft über die Vergabe von Forschungsstipendien entscheiden. Jeannie Rea ist darüber entsetzt. »Man mag direkte politische Einflussnahme bei der Entscheidung über Forschungsgelder in Ländern wie Nordkorea erwarten. In Australien, wo unabhängige Universitäten das Fundament von Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie sind, ist das nicht zu akzeptieren«, warnt die Vorsitzende der Gewerkschaft National Tertiary Education Union (NTEU).
Massive Mittelkürzungen drohen auch den australischen Universitäten. Zur Abwehr des Kahlschlags hat der Verband der Universitäten Anfang April unter dem Motto »Keep it Clever« (Schlau bleiben) eine Kampagne für die Zukunftsfähigkeit von Wissenschaft, Lehre und Forschung gestartet. »Grundlage jeder erfolgreichen Nation ist ein hochkarätiger Universitäts- und Forschungssektor«, betont Belinda Robinson, Chefin des Dachverbands Universities Australia, zum Start der Kampagne.
Universitäten und andere Forschungseinrichtungen sind down under ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Laut dem Universitätsdachverband beschäftigen alle Universitäten zusammen mehr als 110 000 Menschen und tragen umgerechnet rund 15 Milliarden Euro zum Bruttosozialprodukt bei. Universitätsabsolventen bereichern durch ihre Arbeit die australische Wirtschaft um 126 Milliarden Euro und zahlen umgerechnet mehr als 21 Milliarden Euro Steuern pro Jahr. Die hohe Zahl ausländischer Studenten in Australien sowie Niederlassungen australischer Universitäten in Drittländern machen Bildung zum viertgrößten australische Exportgut.
Tim Flannery warnt: »Ohne Wissenschaft hat Australien keine Zukunft.« Der Säugetierforscher, Paläontologe und Umweltexperte war eines der ersten Opfer der Abbott-Regierung in der Wissenschaft. Per Telefon wurde Flannery wenige Stunden nach der Vereidigung Abbotts die sofortige Auflösung der Klimakommission und seine fristlose Entlassung als Vorsitzender mitgeteilt. Auch die im Juli 2013 gegründete Vereinigung der führenden australischen Wissenschaftler und Forschungsinstitute »Research Alliance« sorgt sich um das Wohlergehen des Landes und appellierte jüngst an Abbott, »stabile und geplante Investitionen in Ideen und Entdeckungen« sicherzustellen.
Wie es um die Zukunft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der australischen Wissenschaft bestellt sein wird, wird sich Mitte Mai zeigen, wenn Abbott seinen ersten Haushalt vorlegt. »Dann sehen wir ja, welchen Stellenwert die Wissenschaft noch hat«, sagt Flannery.
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