Rebellenland
Vom Ritter der Hoffnung zu den Theologen der Befreiung
Die heutigen Massenproteste gegen die Misswirtschaft der brasilianischen Regierung haben tiefe Wurzeln in der Geschichte der letzten hundert Jahre. Denn Brasilien ist ein Land mit einer ungewöhnlich reichen Tradition kämpferischer, radikaldemokratischer Bewegungen. Drei Beispiele:
Jorge Amado hat mit seinem Roman »Ritter der Hoffnung« einen revolutionären Höhepunkt in der Vergangenheit des Landes literarisch verewigt. 1925 kam es zu einem Aufstand junger Offiziere gegen die im Land herrschende Oligarchie, für eine Demokratisierung der Gesellschaft. Führer der Rebellion war der 27-jährige Leutnant Luis Carlos Prestes. Um der sofortigen Zerschlagung durch die zahlenmäßig überlegenen Regierungskräfte zu entgehen, formierte er aus 1500 Rebellen eine Kolonne, die auf ihrem Marsch durch das Land Grund und Boden an arme Bauern verteilte, basisdemokratische Machtorgane installierte und einen Guerillakrieg gegen die Reaktion führte. In den zwei Jahren bis zu ihrer schließlichen Niederlage legte die »Columna Prestes« 20 000 Kilometer zurück. Prestes wurde später Vorsitzender der KP Brasiliens.
Das größte lateinamerikanische Land ist auch Zentrum der »Theologie der Befreiung«, jener katholischen Bewegung, welche die soziale Befreiung des Menschen als zentralen Gedanken der christlichen Botschaft versteht. Eine bedeutende Rolle spielte seit Anfang der 1960er Jahre Helder Camara, Erzbischof von Recife, der ärmsten Region im Nordosten Brasiliens. Vom Volk liebevoll »Rebell mit dem Krummstab« genannt, verfolgte ihn die Militärdiktatur als »kommunistischen Unruhestifter«. Camara wie auch Pablo Evaristo Arns, Erzbischof von São Paulo, und Leonardo Boff, ein katholischer Theoretiker der jüngeren Generation, schufen ein Netz von tausend Basisgemeinden als Modell einer Kirche der Armen. Heute hat die »Theologie der Befreiung« in ganz Lateinamerikas eine Art Wortführerschaft inne.
Ein besonderer Schrecken für die brasilianischen Großgrundbesitzer ist die Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST), die Bewegung der Landarbeiter ohne Boden. Mit Hungermärschen, Landbesetzungen und Großkundgebungen versucht sie seit über 40 Jahren, die versteinerten Besitzverhältnisse aufzubrechen. 80 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen sind in der Hand von kaum zehn Prozent Grundbesitzern. Alle Versuche einer Bodenreform durch Regierungen in jüngerer Zeit sind gescheitert. Die Latifundistas wehren sich mit allen Mitteln, auch mit Killerkommandos, gegen eine Reduzierung ihres Besitzes, der oft Zehntausende Hektar umfasst. Wirksame Kampfform der MST sind die organisierte Besetzung von brachliegendem Land durch landlose Familien sowie die Bildung von Agrarvereinigungen mit gemeinsamem Besitz an Produktionsmitteln. Johnny Norden
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