Spielerfrauen aus Stahl

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

  • Jochen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Am meisten beneide ich die Fußballer immer darum, dass sie sich um nichts im Leben kümmern müssen, sogar ihre Freundinnen kriegen sie ja angeblich gestellt, wenn sie keine gefunden haben. Es gibt jedenfalls keinen Spieler ohne Freundin, das ist noch nie vorgekommen. Meistens sind es Friseusen oder Mode-Journalistinnen, erstaunlich selten Fußballerinnen, obwohl sich das doch anbieten würde, meine Eltern sind ja auch beide Germanisten.

Wenn ich daran denke, wie lange ich vor jeder Urlaubsreise recherchieren muss, um mich für eine Unterkunft zu entscheiden - manchmal bin ich deshalb schon zu Hause geblieben, weil mir bei der Vorarbeit die Lust aufs Reisen vergangen war. Die deutschen Spieler müssen überhaupt nichts selbst entscheiden, ihre Unterkunft in Brasilien ist ihnen sogar extra gebaut worden. Sie beschweren sich, wenn sie Mittagsschlaf vorgeschrieben bekommen, etwas Schöneres könnte ich mir nicht vorstellen.

Per Mertesacker ist einen Tag verspätet zum Trainingslager in Süd-Tirol angereist, weil er Vater geworden ist. Einen Tag hat er geopfert, da hätte meine Freundin gesagt: »Wenn Du nur einen Tag hierbleibst, dann kannst Du auch gleich für immer wegfahren.« Ich wäre froh, wenn ich einen Tag frei hätte, seit ich wieder Vater geworden bin.

Christoph Kramer von Mönchengladbach hatte schon seinen Urlaub in Bali gebucht, da kam der Anruf von Jogi Löw, dass er ihn nachnominiert. Seine Freundin sei nicht begeistert gewesen, dass sie nun doch nicht nach Bali fuhren. Ich glaube, ich hätte Jogi auf die nächste WM vertrösten müssen, denn meine Freundin hätte das sicher nicht mitgemacht. »Aber die WM ist doch nur alle vier Jahre!« »Früher hättest Du nicht so gedacht, da war ich Dir noch wichtiger …«

Aber die Nationalspieler haben offenbar alle Freundinnen aus Stahl. Jedenfalls haben sie den leichteren Job als ich. Sie müssen nur spielen, aber ich muss über das Eröffnungsspiel Brasilien gegen Kroatien berichten und den Text vor dem Spiel schreiben, da ich am Morgen danach auf Ferdinand aufpassen muss, weil meine Freundin zur Rückbildung geht, am Tag danach ist Yoga, und dann muss sie zur Frauenärztin und zur Physiotherapie und die Spülmaschine ist auch dauernd voll.

Ich trage also in meiner Arbeitszeit den Kleinen spazieren, das möchte ich mal bei einem Fußballer erleben, dass sie mit Manduka spielen. Überall sieht man gescheiterte Fußballhoffnungen mit müden Augen Kinder durch die Straßen tragen, nur ihre Rückenschmerzen halten sie wach, während ihre Frauen beim Yoga sind und Übungen mit glatzköpfigen, sehnigen Erotomanen machen.

Schläft Per Mertesacker eigentlich im selben Zimmer wie seine Frau und sein Baby? Dann schläft er anschließend bestimmt auch im Strafraum. Ist die Freundin von Christoph Kramer jetzt alleine nach Bali gefahren? Oder sitzt sie in Brasilien im Stadion und schmollt? Aber was ist, wenn ihr Mann gar nicht eingewechselt wird? Dann starrt sie aufs Spielfeld, auf dem ihr Mann nicht zu sehen ist, und fühlt sich verschaukelt. Hoffentlich weiß sie, dass es Auswechselspieler gibt, und dass ihr Mann das nicht mit Absicht macht.

Aber vielleicht geht es ihr wie mir im Stadion, dass sie auf die Entfernung sowieso nicht erkennen kann, wer spielt? Stadionfußball ist nämlich eine völlig andere Sportart als Fernsehfußball.

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