Wahrlich kampfdurchtobt
Calixto Bieito inszenierte Bernd Alois Zimmermanns »Die Soldaten« an der Komischen Oper Berlin
Schon das alle Instrumente einspannende Vorspiel gibt die Tonlage der ganzen Oper vor. Das Orchester adressiert rhythmisch regellose Klangballungen wie schwere Atmer so in den Raum, als würde sich eine Division formieren. Gleichzeitig: Düsteres Licht, Nebel geistern. Anmarsch einer hoch aggressiven, uniformierten Kameraderie mit Stahlhelm bis an die Rampe. Einerlei die Herkunft der Uniformen und Helme, sie bilden ein Gemisch. Untrüglich, was da in der Oper heraufzieht. Alle Musik, alle Szenerie konstituiert etwas, das unter Zwang sich Schritt um Schritt enthüllen und in die Katastrophe münden muss. Die Bühne entspricht dem markant. Eine die ganze Breite ausfüllende Konstruktion aus Stahl mit fahrbaren Elementen strukturiert hinten den Raum und reckt sich bis nach oben. Inmitten des Baus, auf einer Empore, musiziert das militarisierte Orchester (an die 120 Spieler). Instrumentalisten und Dirigent tragen Kampfanzüge. Pauken - und Schlagzeugbatterien sind fahrbar. Sie manövrieren unten und feuern bisweilen wie aus Artilleriestellungen.
Die vieraktige Oper ist wahrlich kampfdurchtobt. Ihren Treibstoff bezieht sie aus der individuell ausgedrückten Konfrontation von Adel, Militär und Bürgertum. Das nach Liebe, Glück, nach persönlicher Entwicklung strebende Individuum scheitert notwendig an den Widrigkeiten einer überlebten Weltordnung. »Die Soldaten« von Bernd Alois Zimmermann geht auf das gleichnamige Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz zurück. Der Komponist schrieb das Libretto selbst. Die Komposition ist in einem zähen Prozess entstanden. Bis zur Endfassung 1965 vergingen acht Jahre. Zimmermann, tiefgläubiger Katholik, hat den zweiten Weltkrieg als Frontsoldat selbst erfahren. Es muss ein fürchterliches Erlebnis für ihn gewesen sein. Seine Oper, exzeptionelle Gebilde, sucht das aufzuarbeiten wie in anderer Art sein »Requiem für einen jungen Dichter«, das letzte Werk von Zimmermann.
Ganz stark, so muss es gesagt werden, die Umsetzung an der Komischen Oper. Hohe Anerkennung für Calixto Bieito, den glühenden Spanier. Sprichwörtlich seine bisweilen brutale Hand, mit klassischen Opern zu hantieren. Nicht vergessen: am selben Haus hat er - durchaus unappetitlich - aus Mozarts »Entführung aus dem Serail« ein Mafiastück mit wilden Bossen und modischen Puffdamen gemacht, rücksichtslos gegen die Musik inszeniert. Bei den »Soldaten« gelang ihm alles und es stimmte alles. Großartig das gesamte Ensemble in diesem realistischen, auf radikaler Wahrheit angelegten Opernwurf. Gabriel Feltz, Gast aus Dortmund, dirigierte den Klangkörper der Komischen Oper bis zur Erschöpfung. Sein Subdirigent Norbert Biermann gab den Vokalisten ihre Einsätze aufs Präziseste. Grandios das gesamte Aufgebot der Sängerinnen und Sänger, voran Susanne Elmark in der Rolle der Marie Wesener. Sie, die in das lüsterne Klima von Adel und Militär gerät und so sehr von deren Avancen wie von dauerhafter Angst erfasst wird, wird wie das Ganze um sie herum schließlich zerbrochen. Zimmermann komponierte ein pazifistisches Stück. Und so hat es Calixto inszeniert. Wider alle Schonung. Aggressivste Triebe heutiger kapitalistischer Verhältnisse toben darin und enden mit einem alle Liebe, alles Leben überschreienden, zerfetzenden Marsch in den Untergang.
Die Vokalparts sind wie die meisten orchestralen Parts zumeist verteufelt kompliziert. Was selten in moderner Oper gelingt: die Texte sind vielfach verständlich. Gabriel Feltz ist das gleichermaßen zu Danken wie der hohen sängerischen Qualität der Darsteller. Jens Larsen, Bassist, groß gewachsen, als Vater Wesener, gibt in der Hinsicht seine von Wechselbädern der Gefühle durchdrungene Rolle geradezu vorbildlich. Des Weseners geheime Hoffnung, er und Marie könnten durch Heirat mit einem Adligen soziale Vorteile erlangen, erweist sich als trügerisch, ja selbstmörderisch. Marie, von mal zu mal in anderen Kleidern, bis sie fast nackt ist, wird von Aristokraten und Militanten zur Hure gemacht. Geschunden, gequält, blutend, hockt sie am Ende da. Der nach Rache dürstende Stolzius (Tom Erik Lie), der wirkliche Geliebte Maries, reicht das Tablett mit den Giftgetränken auf ihrem nackten Rücken. All ihre verrohten, dreckigen, versauten Verführer sollen umkommen: Desportes (Martin Koch), der junge Graf (Adrian Strooper), der Obrist (Reinhard Mayr) usf.
Markant sind nicht minder kleinere Rollen, etwa die der verrückten, so falsch gefühligen wie gallig geifernden Gräfin (Noëmi Nadelmann), vor allem die der alten Mutter Weseners, eines kranken, vollkommen erschöpften Weibes, Symbol des Elends, ja verkörpernd alle Menschheitsleiden (Xenia Vyaznikova).
Ist es ein negatives Stück? Nein. Die Oper trifft die Zuschauer ins Herz. Sie zeigt, welche Kräfte an der Kurbel des Untergangs drehen. Sie enthüllt, was hierzulande derzeit die wenigsten Autoren sich trauen. Nämlich das ganze Schlimme zu veranschaulichen, das dem Globus bevorstünde, dürfte die Crew der Beseitiger von Menschlichkeit so weiter machen wie bisher, nämlich den Globus vollzustopfen mit Angriffen auf Völker, mit strategischen Optionen zur Ressourceneroberung. Calixtos »Soldaten« fordern positive Antworten heraus.
Weiter: 20. und 25.6., 1. und 9.7.; www.komische-oper-berlin.de
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