Das sehr prägnante Nichts
Verfassungsschutzbericht 2013 vorgelegt: Größter Spionageskandal ist den zuständigen Versagern 22 Zeilen wert
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen. Es sammelt Informationen über geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte, wertet sie aus. Es wirkt am Geheim- und Sabotageschutz mit. So verlangt es das Gesetz. »Dienstleister der Demokratie«, nennt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen seinen Dienst gerne. Doch das Amt hat skandalös versagt, als es galt, Neonazistrukturen aufzudecken. So konnten die Terroristen des 2011 aufgeflogenen Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) zehn Menschen ermorden.
Vor einem Jahr kamen dank des ehemaligen US-Geheimdienstlers Edward Snowden Fakten über die grenzenlose Spionagetätigkeit der US-amerikanischen NSA und des britischen GCHQ ans Tageslicht. Millionen Deutsche einschließlich Kanzlerin wurden und werden elektronisch ausgeforscht. Woche um Woche kommen neue Ungeheuerlichkeiten ans Licht. Und wieder versagt der Verfassungsschutz kläglich.
Ganze 22 Zeilen des aktuellen Berichtes haben mit der NSA zu tun. Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) beleidigte nicht zuletzt seine eigene Intelligenz, als er sagte, man habe im Bericht »sehr prägnant« Aussagen zur NSA getroffen. Festgestellt wird lediglich, dass die gegen die NSA und andere westliche Dienste erhobenen Vorwürfe »das mögliche breite Spektrum neuer Formen der Spionage« verdeutlichen und dass dies »in der Öffentlichkeit als eine Gefährdung neuer Qualität« wahrgenommen wird - für die individuellen Rechte jedes Einzelnen wie auch für Politik und Wirtschaft.
Im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht: »Wir stärken die Spionageabwehr.« Doch das gilt offenbar nur gegenüber Russland (zehn Seiten Bericht) und China (sechs Seiten). Auf Nachfrage, was denn die im Sommer 2013 begonnene Sonderauswertung zur Aufklärung der NSA-Vorwürfe ergeben habe und warum das nicht im Bericht stehe, hörte man auf der gestrigen Bundespressekonferenz nur: Es gibt keine Erkenntnisse, dass US-Dienste oder beauftragte Firmen - sogenannte contractors - gegen deutsches Gesetz und Recht verstoßen.
Stattdessen wird auf den vom Bundestag eingesetzten NSA-Untersuchungsausschuss verwiesen. Doch der kommt wegen der starren Haltung der Regierungsfraktionen keinen Schritt weiter, wenn es um die Vernehmung des Skandalaufdeckers geht. Der ursprüngliche Plan, Snowden noch im Juli zu hören, ist Makulatur. Per Zeitspiel wird versucht, das Interesse an der Kooperation deutscher Dienste - auch des Verfassungsschutzes - mit der NSA erlahmen zu lassen.
Nach dem Debakel bei der Aufklärung der NSU-Morde wurden umfangreiche Reformen im BfV angekündigt. Angesichts der NSA-Vorwürfe erneuerte die Regierung das Versprechen. Allein die herkömmliche dröge Struktur des am Mittwoch veröffentlichten Allerweltsberichts zeigt, dass sich im Grundsatz nichts geändert hat. Kein Wort über den Zustand des Amtes, über die Konsequenzen aus den Aktenschreddereien, über neue Prioritäten oder die Ausbildung des Personals.
Man hat sich wenig Mühe gemacht beim Abschreiben von Polizeistatistiken. Erbsenzählen statt Analyse. Zitathäppchen statt Handlungsempfehlungen für die Politik. Wenig nachprüfbar, kaum transparent. »Kein Wort über den respektlosen Umgang des Staates mit den Rechten von Bürgerinnen und Bürgern. Kein Wort über die massenhaften Grundrechtsverstöße durch internationale und deutsche Geheimdienste«, kritisiert der Vizechef der Bundestagslinken Jan Korte.
Aussagen, dass Rechtsextremisten sich kaum fassen lassen, weil sie nach dem Verbot von Vereinigungen in anderen Parteien untertauchen, sind ebenso bekannt wie die Tatsache, dass fremdenfeindliche Übergriffe zunehmen. Bei der Ursachenforschung leisten zivilgesellschaftliche Initiativen und Medien auf vielen Gebieten weitaus mehr, sagte Korte gegenüber »nd« und forderte »endlich eine ernsthafte gesellschaftliche Debatte darüber, wie der Rechtsstaat unsere Verfassung in Zukunft effektiv schützen will«.
Der Grünenabgeordnete Hans-Christian Ströbele nennt die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2013 schlicht »ein Trauerspiel«. Damit versuche die Bundesregierung weiter, den NSA-Skandal zu ignorieren und zu bagatellisieren. Fazit: Die »unverantwortliche Politik des Nichtstuns und des Boykotts der Aufklärung« geht weiter.
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