Gute Miene zum späten Spiel
Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne
Das Universum zu Gast bei Europäern«. Das wäre doch mal eine Losung für eine Fußball-WM-Endrunde hierzulande oder nebenan. So eine, ich sage mal, Heim-WM, hat den Vorteil, dass die Männer am nächsten Morgen halbwegs ausgeschlafen zu ihren Hartz-V-, VI- und VII-Jobs fahren können, da sich die Zeiten der Anstöße besser mit denen der Schichten vertragen. Zumindest mit meiner Frühschicht.
Wie soll ich bei einer Anstoßzeit zur Geisterstunde über 90 Minuten auf Ballhöhe bleiben? Ich muss um 4 Uhr 15 aufstehen, um frisch rasiert, abgefrühstückt und gut gelaunt ab 6 Uhr den Staat zu schützen, beziehungsweise ein Haus in meiner Stadt. Mein Block, Alter! Wenn ich das sehe, wie um diese Zeit die meisten Männer in der Ringbahn auf den Sitzen hängen. Von denen macht sich Frau M. aus B. kein Bild, von den augenscheinlich zerstörten Silvesterzombies. Die haben bis 1 Uhr 45 Fußball geguckt; Kongo gegen Vietnam, oder Peru gegen Neuseeland.
Die 18-Uhr-Spiele sind beliebter, die 21-Uhr-Ansetzungen auch, aber danach ist Schluss mit lustig. Ich habe mir die meisten Spiele geschenkt, weil ich gut aussehen muss. Die Blaumänner und Karohemdjungs machen nahezu durch, die müssen nicht im Zwirn eines Sicherheitsunternehmens adrett erscheinen. Da zählt nur die Anwesenheit.
Frauen dagegen, die schlafen während der Fußballturnier-Endrunden nicht in der Ringbahn, die spielen zu früher Morgenstunde auch noch nicht mit ihren Kommunikationdildos herum, weil sie von Frau M. aus B. eine Auszeit abgesegnet bekommen haben. Alle Mädchen und Frauen sind plötzlich schwächer und schwanger. Haben Bettruhe, vom letzten Schlusspfiff bis zum ersten Brunch. Gleichberechtigung, Punkt.
Männer müssen durchhalten, auch wenn die Endrunde in Afrika, Asien, Atlantis oder Amerika stattfindet. Ich plädiere für die Daueraustragung in Europa, auch wenn ich somit als arroganter Altdeutscher gelte, als typisch DDR-sozialisiert - und dann auch noch Berlin.
Gute Miene zum späten Spiel machen ist Pflicht. Konzentriert und kosmopolitisch gucken. Meine Aufmerksamkeit genügt oft nur für Deutschland und die deutschsprachige Schweiz. Weil ich schon mal da war. In Kreuzlingen, dem Ex-Konstanzer Stadtteil, der unserer Heimat abhanden kam, als Napoleon der soundsovielte mit einem Bleistift aus Österreich die Grenze am Bodensee begradigte. Meinetwegen.
Ich habe für die Schweizer einiges übrig, denn die sind so ruhig und nett, so harmlos und neutral. Kaum zu merken, wenn die zum Beispiel auf Deutschland schimpfen. Geradezu niedlich. Mir ist dann immer so danach, im alpinen Dreiländereck eine Abstimmung darüber anzuzetteln, ob die nächste WM-Endrunde in Polen oder Portugal sein soll. Alle Probleme wären gelöst, außer die der Spätschichtler.
Jawoll, Endrunden müssten eigentlich über dem Zeitraum von zwei Monaten ausgetragen werden, während denen sich die spielintensiven und spielfreien Wochen entsprechend abwechseln. Nur mal so.
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