Keiner ein König, keiner ein Narr
Die zu Ende gehende Theatersaison und das Staats-Theater Politik
Die Theatersaison geht langsam zu Ende. Was immer, über die Monate hin, auf den Bühnen des Landes geschah - eine Wahrheit zu besprechen, einte alle Kunstbemühungen: Unser Elend kommt hauptsächlich von den Problemen, die aufgrund der Lösungen entstehen, mit denen wir Probleme zu klären suchen. Das ist das Urteil das die Kunst über Geschichte und Politik fällt. Aber immer wird es problematisch, wenn die Politik über Kunst redet. Am vergangenen Wochenende zum Beispiel veröffentlichte Alt-Sozialdemokrat Franz Müntefering in der FAZ einen Text über politische Inszenierungen und Symbole, darin er frohgemut behauptet: »Politiker sind Schauspieler.«
Es bleibt einer der größten Missgriffe, so einen Satz zu sagen. Das ist kulturelles Banausentum. Schon Arthur Miller nannte dies rhetorische Verfahren eine »Diffamierung der dramatischen Kunst«. Denn: Politik bietet keine Dramen, es prallen keine Welten aufeinander; keiner ein König, der dem Narren in sich Leine lässt; keiner ein Narr, der einen König aus sich zu machen weiß. Der Konflikt zwischen Interessen, wenn er nicht gleich zum Krieg wird, offenbart keine stressfähige Gemeinschaft, Konflikte auszutragen - es grassiert vielmehr eine Praxis aus zunehmend zerfledderter Programmatik und fahrwässrigem Meinungswechsel. So sind also die Rollen verteilt. Das Stück langweilt. Die Inszenierung lässt vom Blatt spielen, das alle vor den Mund nehmen, um Zahnlosigkeit zu verbergen.
Max Reinhardt, der große Regisseur, bezeichnete als Kern der Schauspielkunst: wesentlich zu werden; nicht Verstellung, sondern Offenlegung zu betreiben. Die Maske ist nur das Hilfs-Mittel, hinter dem Schauspielende gnadenlos ungeschminkt des Menschen Kern präsentieren. Auf Bühnen werden die unsterblichen Lügen einer Dichtung einzig wahr in der Leibhaftigkeit von Menschen, die sich verausgaben mit dem, was ihnen von der Natur gegeben ist. Wann sind wir denn im Theater beglückt, berauscht, beseelt, weggerissen aus der Profanität, die wir unser Leben zu nennen gezwungen sind? Dann, wenn wir meinen, da vorn auf der Bühne verwandelten große Virtuosität und erregende Aura einen Spieler in ein grenzenlos gefährdetes Wesen, das in einer Rolle aufgeht - und doch ganz bei sich selber ist. Es geht im Spiel darum, in fremder unwahrer Haut ahnbar zu machen, was in einem selber steckt, als Möglichkeit: wahrer Prinz und König, wahrer Liebhaber und Ehebrecher; ein wahrer Mörder natürlich auch. Verwandlung heißt, Anverwandtschaften deutlich zu machen.
Wer sich nur gut verstellen kann, aus dem wird nur ein mittelmäßiger Schauspieler. Zum guten Schauspieler führt einzig der Mut, die eigenen Unsicherheiten, das eigene Anfechtbare, den eigenen Abgrund aberwitzig auf die Bretter zu werfen. Müntefering: »Ehrlich und sensibel, kampfbereit und kompromissbereit seine Rolle annehmen, die einem nach den Regeln der Demokratie und der Gesellschaft zugeordnet ist. Gute Schauspieler auf der Bühne schaffen das.«
Ja, nur ist Theater Spiel, Politik nicht. Wer die Realität mit den Welterfindungs-Gesetzen und -möglichkeiten einer Bühne verwechselt, spielt nicht auf, er spielt mit den Menschen, die sich notgedrungen oder demokratisch freiwillig in die Abhängigkeit von Politik begeben (müssen!). Münteferings Vergleich seiner Sparte mit Künstlern kann höchstens bedeuten, dass er auf unfreiwillige Weise gesteht, wie sehr Politik nur noch Kasperei, Gaukel und eine Als-ob-Technologie ist. Aber doch niemals Schauspiel im wahrhaft kulturellen Sinne. Wann ist denn in der Politik einer wirklich so, wie es eigentlich seine Natur wäre? Dort herrschen lauter Gegenteile dessen, was den guten Schauspieler ausmacht.
Um Profil zu bilden, muss ständig eine Marketing-Strategie her, die schleift, glättet, einebnet. Maskierung als Versteck. Wer dran risse, hätte schon das Gesicht in der Hand. Da wird etwas zur Schau gestellt, was eingängig wirken soll. Es ist aber das Gegenteil von Schau-Spiel. Politischer Auftritt ist, indem er Authentizität vorgaukelt, die blanke Fälschung. Denn nichts darf ein Politiker weniger sein als authentisch. Er ist das Produkt, das möglichst allen gefallen soll.
Deshalb sind Medien-Berater und Schminkkünstler durch die Bank weg traurige Arbeiter am Paradoxon: Sie produzieren Individualisten - von der Stange. Lauter Ichs reloaded, von links bis rechts. Noch das Bunteste kräftigt so die Front der Entfärbten. Putins muskulöse Kleinkunst als Gernegroß. Assads biederblasses Babyface. Obamas spätjungenhafte Kopierübung in Richtung Morgan Freeman. Wagenknechts rehscheue Einsamkeitspose, in sie die genau gezirkelte Homestory-Partikel einschießen lässt. Steinmeiers obergymnasial betankte Beflissenheit. Claudia Roths Evolutionsexperiment am eigenen Leib, zwischen Cindy aus Marzahn und einer verunglückten Trude Herr (Gott hab sie selig!) den Papagei in einen Mamagei zu verwandeln.
Ja, alles Schauspiel, viel Inszenierung - aber doch nur eine unverschämte Anmaßung, das Ausgestellte, das Symbolische, das Gespielte fahrlässig ins Wesen von Politik einzubinden. Das Theater mag auch in der kommenden Saison sehr unterschiedlich ausfallen, es wird auf jeden Fall wieder wahr sagen, was uns die Politik weglügt: Die falschen Spieler erkennt man an ihren Masken. Sie fallen immer schneller, als der Ruf der Politik wieder steigen kann.
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