Nur »Der Sieger« jubelt nicht
Argentinische Fans feiern in Porto Alegre, doch es gibt Ärger mit den WM-Tickets
Man kann Victorio (der Siegreiche) heißen, Argentinien-Fan sein und sich trotz eines durchaus spektakulären Sieges der Albiceleste (Weiß-himmelblauen) als Verlierer des Tages fühlen. Victorio investierte einiges in seinen WM-Traum: weit mehr als 100 US-Dollar für eine ganz legal über den Online-Verkaufsweg der FIFA ergatterte Eintrittskarte, nun noch 1350 Kilometer Anfahrt per Auto. So nahe wie in Porto Alegre war die Fußballweltmeisterschaft Argentinien seit der Heim-WM 1978 schließlich nicht mehr gekommen. Victorios Traum, bei einem WM-Spiel der Albiceleste live dabei zu sein, schien nichts mehr im Wege zu stehen. Aus dem Traum wurde ein Albtraum. »Sie haben mir das Ticket bei der letzten Sicherheitskontrolle im Stadion geklaut«, erzählt mir Victorio sichtlich mitgenommen. »Was für ein Desaster, was für eine Frustration!«
An jener Sicherheitskontrolle muss jeder Fan durch einen Metalldetektor und sich dementsprechend ähnlich wie beim Check auf dem Flughafen vieler Utensilien entledigen. Victorio ist überzeugt davon, dass sich einer der Sicherheitsleute seiner Karte bemächtigt habe, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Es wäre auf alle Fälle ein lohnendes Geschäft. 1000 bis 1500 Dollar riefen die Schwarzmarkthändler nicht selten für eine Eintrittskarte zum Spiel Argentinien gegen Nigeria auf, die Nachfrage war angesichts Zigtausender ohne Karten angereister argentinischer Fans groß. Wie viele Deals getätigt wurden, ist nicht auszumachen. Nicht zuletzt weil sich unter den argentinischen Fans herumgesprochen hatte, dass bei den ersten beiden Spiele in Rio de Janeiro und Belo Horizonte massenhaft gefälschte Tickets verscherbelt wurden. Wer darauf hereinfällt, hat schlicht Pech gehabt.
Bei Victorio kommt jedoch noch Unvermögen der WM-Organisatoren hinzu, und deswegen versteht er die Welt nicht mehr. Schließlich hatte er ein personalisiertes, also auf seinen Namen ausgestelltes Ticket erworben. »Die ganze erste Halbzeit über habe ich versucht, ein neues Ticket zu bekommen. Ich hatte ja noch meinen Ausweis und konnte damit nachweisen, dass ich der legale Besitzer einer Eintrittskarte bin.« Allein, dass niemand Interesse an einer Überprüfung der Angelegenheit zeigte und er von Pontius zu Pilatus geschickt wurde. »Jetzt sitzt direkt neben meinen beiden Verwandten ein Schwarzmarktkäufer auf meinem Sitzplatz. Das ist schon sehr bitter!«
Stimmen Victorios Ausführungen, ist er kein Einzelfall. Rund ein Dutzend Personen mit dem selben Problem seien ihm beim Irren durch das Stadion von Instanz zu Instanz über den Weg gelaufen, erzählt er. Geteiltes Leid ist in diesem Fall aber nicht halbes Leid sondern nur potenzierte Frustration, mit der sich Victorio am Donnerstag wieder auf den Heimweg Richtung Buenos Aires machen musste.
Für die allermeisten der 50 000 bis 100 000 rund ums Spiel in Porto Alegre weilenden argentinischen Fans hat sich die Reise jedoch gelohnt - unabhängig davon, ob sie es ins Stadion geschafft haben oder das Spiel lediglich auf dem Fan-Fest in der Nähe auf Riesenbildschirmen oder in Kneipen geschaut haben.
Nach den zwei glanzlosen ersten Siegen gegen Bosnien und Iran, konnte Argentinien beim 3:2 gegen Nigeria zum ersten Mal überzeugen, die Offensive der »Fantastischen Vier« zeigte ihr Potenzial, wenngleich außer Lionel Messi noch kein anderer des aus Gonzalo Higuaín, Sergio Agüero und Angel di María bestehenden Quartetts getroffen hat. Das gibt zu Sorge Anlass. Noch mehr allerdings trifft dies auf die Defensive zu, die sich nicht nur bei den beiden Gegentoren von den schnellen Nigerianern überrumpeln ließ. Die Balance zwischen offensiv und defensiv hat Argentinien noch immer nicht raus. Doch wenn nicht bei dieser torreichen WM, wann dann sollte das Rezept, vorne ein Tor mehr zu schießen als hinten zu kassieren, überhaupt noch aufgehen?
Argentinien hat sich offensichtlich für diesen Weg entschieden, der als nächste Station São Paulo und die Schweiz als Gegner vorsieht. Victorio wird ihn aus Buenos Aires weiter verfolgen. Für ihn kann die WM nur noch besser werden.
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