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Der Politik ins Wort fallen

Der »rote Galley« hält sich an keine Konvention und erinnert Gauck an Versprechen der DDR-Friedensbewegung

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 5 Min.
In einem Offenen Brief machen einstige Pfarrer aus der DDR ihr Unbehagen über Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck deutlich. Der Brief bleibt intern, vielleicht erscheint er am Montag.

Soll man es Lässigkeit nennen, gar Fahrlässigkeit oder einfach nur mediale Instinktlosigkeit? Da formuliert der ehemalige Ostberliner Pfarrer Klaus Galley zusammen mit seinem ebenfalls bereits pensionierten Mitbruder Siegfried Menthel ein Protestschreiben an den Bundespräsidenten gegen dessen aktuelle Aussagen zu künftigen Auslands- und Kriegseinsätzen der Bundeswehr. Auf Rückfragen aber verweigern beide vorerst jede weitere Auskunft. Eine absurde Situation: Obwohl Teile des Briefes bereits öffentlich zitiert werden und eine Menge Aufmerksamkeit hervorrufen, lehnen die Autoren unbeirrt eine Erläuterung ihres Anliegens ab, vertagen sie den Aufstand des Gewissens auf morgen.

Der Brief wurde durch eine Indiskretion bekannt. Er richtet sich an Joachim Gauck, offenbar unter Berufung auf dessen Rolle als einstiger Pfarrer und Führungsmitglied im Neuen Forum in Rostock, der seiner Darstellung als Vertreter der DDR-Bürgerrechtsbewegung nie widerspricht, auch wenn sie von ehemaligen Vertretern dieser Bewegung bestritten wird. Offenbar suchten die renitenten Geistlichen vor der Veröffentlichung ihres Briefes Mitstreiter und Mitunterzeichner, und so gelangte dieser an die Springer-Presse.

Laut »Bild«-Zeitung werfen die emeritierten Pfarrer Joachim Gauck vor, sich von den Idealen der christlichen DDR-Friedensbewegung abzuwenden. Sie beziehen sich auf das Abschlussdokument der Ökumenischen Versammlung der DDR-Kirchen von 1989. Darin heißt es: »Umkehr zum Frieden muss deshalb für uns heute die Mitwirkung an der Überwindung der Institution des Krieges einschließen. Im Verzicht auf militärische Gewalt als Mittel der Politik sehen wir einen notwendigen Schritt zur Schaffung einer europäischen und weltweiten Friedensordnung.« Besonderen Anstoß nehmen die Autoren an der Rede Gaucks auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar dieses Jahres, der sie entschieden widersprechen.

»Mit dieser Rede verabschieden Sie sich aus dem Konsens von 1989 und empfehlen der Bundesrepublik als Bundespräsident eine andere Politik als die damals von uns geforderte«, wird aus dem Brief der Pfarrer weiter zitiert - ohne Bestätigung von ihrer Seite. Und auch die folgenden Sätze: Wie wenig militärische Mittel geeignet seien, bestehende Konflikte zu lösen, zeige gerade der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan: »Dessen vielen sinnlosen Opfern sind wir es schuldig, nicht die militärischen Kapazitäten unseres Landes zu verstärken, sondern den Zivilen Friedensdienst zum deutschen Exportschlager zu machen.«

Gauck hatte eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gefordert. Deutschland müsse bereit sein, mehr zu tun für jene Sicherheit, die ihr über Jahrzehnte von anderen gewährt wurde. Offensichtlich kein rhetorischer Ausrutscher, denn ähnliche Aussagen hat der Bundespräsident nun auch im Deutschlandfunk von sich gegeben.

Brisant werden solche Äußerungen vor allem auch, wenn man weiß, dass die Bundesregierung im Mai 2004 noch den Aktionsplan »Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung« verabschiedet hatte. Ziel war es, nicht-militärische Hilfe bereits im Vorfeld von Konflikten als Grundsatzaufgabe des Staates festzuschreiben. Doch zehn Jahre später scheint man im politischen Berlin nichts mehr davon wissen zu wollen. Mehrere Interviewanfragen zu dem Aktionsplan wurden etwa vom Auswärtigen Amt abgelehnt. Will die deutsche Staatsführung also jetzt die öffentliche Meinung sturmreif schießen, um bei Bürgern und Wählern eine noch höhere Akzeptanz für kämpfende Deutsche im Ausland zu erreichen? Nicht nur bei der Linkspartei, sondern auch auf protestantischer Seite regt sich friedenspolitischer Unmut.

Es ist also längst raus, zwei evangelische Pfarrer aus dem Berliner Osten kritisieren ihren ehemaligen Mitbruder aus Rostock. Nun hätten sie für ihr Anliegen die maximale mediale Aufmerksamkeit, aber für Interviews stehen die Initiatoren des Schreibens gerade nicht zur Verfügung, entschuldigt sich Siegfried Menthel auf mehrfache Anfrage am Telefon. Erst solle der Brief ordnungsgemäß per Post ans Bundespräsidialamt geschickt werden. Sein Kollege Pfarrer Klaus Galley sei zudem gerade beim Paddeln, heißt es aus seiner ehemaligen Gemeinde am Fennpfuhl in Berlin-Lichtenberg. Dabei weiß der ehemalige Studenten- und Gemeindepfarrer ganz genau, wie Politik funktioniert, hat er doch bereits zu DDR-Zeiten den Kontakt und den Gedankenaustausch mit den Herrschenden gesucht und auch gefunden.

Der »rote Galley«, wie ihn nicht wenige seiner Amtsbrüder nannten, hegte mehr als nur Sympathie für die Koexistenz-Formel »Kirche im Sozialismus«. Damals predigte und arbeitete er durchaus in der Hoffnung, dass es wie im befreiungstheologisch geprägten Lateinamerika eine Kooperation zwischen Christen und Sozialisten oder Kommunisten geben könnte, um die gesellschaftlichen Verhältnisse gemeinsam zu verbessern. So eine christlich-sozialistische Zusammenarbeit hätte es auch in der DDR geben können. Galley sah zumindest damals den Sozialismus als eine Chance, der in der DDR nur schlecht verwirklicht wurde. Daher nahm der damals auch nicht mehr ganz junge Pfarrer, Jahrgang 1933, an den geheimen Theologen- und Turmzimmergesprächen in den 1970er und 80er Jahren im Roten Rathaus teil.

»Es war für mich eine Zeit lang der einzige regelmäßige Kontakt mit staatlichen Leuten, weil es sonst keine sinnvollen Gespräche mit der Partei gab. Denn sonst konnte man nur zuhören und hinterher noch seine Meinung sagen, aber mehr nicht«, hat Klaus Galley sich später an die Dialogveranstaltungen zwischen Genossen und Theologen erinnert. Im Roten Rathaus wurde zwischen beiden Fraktionen ernsthaft geredet und diskutiert. Man kann vermuten, dass Klaus Galley damals wie heute nicht einfach nur vorgegebene politische Meinungen abnicken wollte und will, sondern sich nie gescheut hat, der hohen Politik ins Wort zu fallen. So wie Galley damals mit den SED-Mächtigen auf Magistratsebene ohne Manschetten und Scheuklappen frei heraus über Umweltschutz, Menschenrechtsfragen, internationale Solidarität aber eben auch Friedenssicherung diskutierte, so sucht er jetzt den offenen Disput mit dem höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland.

Aber erst mal soll nun am kommenden Montag der Protestbrief ordnungsgemäß ins Schloss Bellevue geschickt werden. Dann muss Klaus Galley noch seine Paddeltour beenden und dann, ja dann stehen die beiden Protest-Pfarrer wahrscheinlich für direkte Interviews zur Verfügung. Ist das jetzt also Lässigkeit, gar Fahrlässigkeit oder mediale Instinktlosigkeit? Wie auch immer, so wie es ist, ist es jetzt eben. (mit epd)

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