Das Loch über den Tropen

Wie Schwefelpartikel aus dem pazifischen Raum bis zum Nordpol gelangen

  • Gert Lange
  • Lesedauer: 4 Min.

Aerosole beeinflussen das Klima. Doch wie genau die tausenderlei feinen, in der Luft schwebenden Tröpfchen und Partikel dies tun, ist noch längst nicht geklärt. Die winzigen Stäubchen reflektieren einen Teil des Sonnenlichts, bevor es den Erdboden erreicht und wirken daher in der Regel abkühlend auf das Klima. Sie strahlen jedoch auch selbst Wärme ab, was besonders in den Polarregionen den natürlichen Treibhauseffekt verstärken kann. Außerdem fördern sie die Wolkenbildung und greifen in die Chemie der Atmosphäre ein.

Rätselhaft blieben bisher einige langjährige Beobachtungen: Einesteils scheinen in Höhen zwischen 18 und 25 Kilometern mehr Schwefelsäuretröpfchen vorzukommen, als nach den Standardannahmen zu erwarten wäre, und die Konzentration der Aerosole hat über die letzten Jahrzehnte merklich zugenommen. Andernteils zeigte sich, dass der polare Ozonschwund in der Realität um einiges stärker war als in den Modellrechnungen - ein lange ungelöstes Problem der Atmosphärenforscher.

Ein recht abseitiges Ereignis deutete eine Spur zur Erklärung dieser Beobachtungen an. Als 2011 in Ostafrika der Vulkan Nabro ausbrach, wurde von Satelliten aus beobachtet, wie eine kleine Wolke der ausgestoßenen Schwefelsäureteilchen spiralförmig in die Atmosphäre aufstieg und in den asiatischen Monsun hineingezogen wurde. Daraufhin verdichtete sich die Vermutung vieler Wissenschaftler, dass die Schwefelsäure über der arktischen Luft aus den Tropen stammt und die daraus entstehenden Aerosole zum Teil mit dem asiatischen Monsun über den Himalaya in die polare Stratosphäre transportiert werden.

Schon im Oktober 2009 war ein Team der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (Sitz Bremerhaven), geleitet von dem renommierten Atmosphärenphysiker Markus Rex, auf dem deutschen Forschungsschiff »Sonne« unterwegs, um im tropischen Pazifik Spurenstoffe zu messen. Auf dieser Expedition entdeckten sie ein bisher unbekanntes Phänomen: In einer Luftschicht, die durch ihre chemische Zusammensetzung den Transport von Schwebeteilchen aus der Troposphäre in die Stratosphäre normalerweise verhindert, befindet sich über dem tropischen Westpazifik ein natürliches Loch von mehreren tausend Kilometern Ausdehnung. Wie in einem riesigen Fahrstuhl gelangen in dieser Region viele chemische Verbindungen aus bodennahen Bereichen ungefiltert durch die sogenannte »Waschmittelschicht« (wissenschaftlich: OH-Schicht) in den stratosphärischen Kreislauf.

Zunächst befürchtete Rex eine Kette von Messfehlern. Zwar hatten sich die vieltausendfach erprobten Ozonsonden, die alle 400 Kilometer mit einem Ballon in den Himmel über der Südsee geschickt wurden, auch unter extremen Bedingungen bewährt, aber während dieser Messfahrt registrierten sie nichts oder fast nichts. Die Ozonkonzentrationen lagen vom Erdboden bis in etwa 15 Kilometer Höhe fast durchgängig unter der Nachweisgrenze, die bei zehn Ozonmolekülen unter jeweils einer Milliarde Luftmolekülen liegt. Normalerweise sind Ozonkonzentrationen in diesem Bereich der Atmosphäre drei- bis zehnmal so hoch.

Nach kurzer Zeit des Zweifels und diverser Tests dämmerte dem Ozon-Spezialisten, dass er eine bisher unbekannte Erscheinung entdeckt hat. Nicht nur das Ozonloch über dem Westpazifik, auch die Drift chemischer Stoffe durch den als Konvektion bezeichneten Aufwind verstärkt den Ozonabbau in den Polarregionen und könnte - auch wegen der steigenden Luftverschmutzung in Südostasien - das künftige Klima der Erde erheblich beeinflussen. Denn befinden sich klimarelevante Stoffe erst einmal in der Stratosphäre, verschwinden sie dort nur sehr langsam wieder und geraten in einen globalen Umlauf.

Die Auswertung und externe Prüfung komplizierter Datensätze braucht normalerweise ein paar Jahre. Inzwischen haben die Polarforscher ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift »Atmospheric Chemistry and Physics« (DOI: 10.5194/acpd-13-28869-2013) veröffentlicht. Das Loch in der »Waschmittelschicht« entsteht, weil mit den Passatwinden, die über weite Strecken keinen Kontakt mit Landökosystemen haben, extrem saubere Luft in den tropischen Westpazifik strömt. In Höhen unter 18 Kilometern befinden sich Luftlagen, die eine stark reaktive Verbindung aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom (deshalb OH-Schicht) mit sich führen. Diese Radikale werden unter Reinluftbedingungen zum großen Teil durch chemische Umwandlung aus Ozon gebildet, das jedoch, wie Markus Rex und Kollegen nachwiesen, nicht vorhanden ist.

»Mit dem OH-Loch haben wir einen Beitrag zur Lösung der Rätsel gefunden, die uns manche bislang schwer deutbaren Messergebnisse gestellt haben«, sagt Markus Rex. Aber neue Erkenntnisse werfen auch neue Fragen auf. Deshalb hat die Europäische Union im Rahmen des Forschungsclusters »Aerosols and Climate« für das Prognoseprojekt StratoClim, das vom Alfred-Wegener-Institut koordiniert wird, etwa neun Millionen Euro zur Verfügung gestellt. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Umweltphysik der Universität Bremen sollen im Westpazifik neue Messstationen aufgebaut werden. Auch Messflüge mit einem Höhenforschungsflugzeug sind geplant, die den Transport der Aerosole im asiatischen Monsun erfassen sollen.

»Zunächst müssen wir die Prozesse verstehen, welche Mengen von Aerosolen unter welchen Bedingungen wie verfrachtet werden«, erklärt Markus Rex. »Dann bilden wir die Zusammenhänge mit detaillierten mathematischen Modellen ab und arbeiten die Ergebnisse in globale Klimamodelle ein.« Auf diese Weise wollen die Forscher die großen Unsicherheiten im Verständnis der Aerosolprozesse minimieren, die im letzten Weltklimabericht (IPCC) hervorgehoben worden sind.

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