Im Schatten des Zeppelins
Das Festival des wiederentdeckten Films in Bologna: Warnungen und Komödien vor dem Ersten Weltkrieg
Das Jahr 1914 war jenes des Anschlags von Sarajewo, aber auch das Jahr einer Papstwahl. Die Papstwahl war beim Festival des wiederentdeckten Films - Il Cinema Ritrovato in Bologna - im Rahmen der Filmreihe «Kino vor 100 Jahren» zu sehen. Sarajewo und die Folgen nicht. Statt Paraden und Aufrüstungsfilmen, statt Staatsbesuchen und Friedensreden, statt etwa eines Dokumentarfilms, gefilmt an Bord des Luxusliners Lusitania im Jahr bevor er von deutschen U-Booten versenkt wurde, gab es aus der Vorkriegszeit Komödien zu sehen, Dramen oder auch Serienepisoden, darunter die brillante, wenn auch recht sadistische «Fantômas»-Adaption von Louis Feuillade, die kurz vor Kriegsende abbricht - ohne dass der Bösewicht gefangen wäre.
Doch eine Reihe von Antikriegsfilmen zog einen starken dramaturgischen Bogen um 1914 und die vier Folgejahre. Bertha von Suttner hatte ihn kommen sehen, den Krieg, und alles versucht, die Menschheit noch umzustimmen. Seinen Ausbruch erlebte sie nicht mehr, sie erlag Anfang Juni 1914 dem Krebs. Auch der Dritte Weltfriedenskongress, der im September 1914 in Wien hätte stattfinden sollen, fiel kriegsbedingt aus. Und der dänische Antikriegsfilm «Ned med våbnene!» nach von Suttners pazifistischem Roman «Die Waffen nieder!», der dort seine Premiere hätte haben sollen - die Autorin selbst ist darin in einem kurzen Vorspann am Schreibtisch zu sehen - verschwand im kriegsführenden Europa auf Jahre in den Schränken der Zensur. In Bologna war er jetzt wieder zu sehen.
Es ist eine adlige Offiziersfrau, die der späteren Friedensnobelpreisträgerin im Roman (und Carl Theodor Dreyer in seiner Drehbuchadaption für Regisseur Holger-Madsen) als Sprachrohr für die pazifistische Bewusstwerdung dient, eine Frau, die ganz selbstverständlich (denn es ist ja standesgemäß) noch einmal einen Offizier heiratet, nachdem ihr erster Mann, ein Offizier, einem Kriegseinsatz zum Opfer fiel. Erst als auch der zweite Ehemann ihr im Krieg verlorenzugehen droht und die halbe Familie an der von der Front eingeschleppten Cholera eingeht, wird sie zur Pazifistin - und kann auch ihren Mann überzeugen, Waffen und Kriegshandwerk abzuschwören.
Kriegsnah fertiggestellt und bald (wie Suttners internationale pazifistische Bewegung) vom nationalistischen Enthusiasmus über die Mobilmachung hinweggefegt wurde auch der erst in den 1990er Jahren in den Archiven wiederentdeckte belgische Antikriegsfilm «Maudite soit la guerre (Verflucht sei der Krieg) von Alfred Machin. Der hatte sich als Tierfilmer in Afrika einen Namen gemacht, dabei auch erste Luftaufnahmen eingesetzt, und zeigt in diesem Spielfilm nun zwei Fliegeroffiziere aus benachbarten Ländern, die durch eine (fiktive) Kriegserklärung von einem Tag auf den anderen von Freunden zu Feinden werden müssen. Die geplante Hochzeit des einen mit der Schwester des anderen - unter Kriegsumständen völlig unmöglich.
Am Ende des Krieges wird er gefallen sein und sie sich, ohne es zu wissen, ausgerechnet mit dem Mann verloben, der für seinen Tod verantwortlich war. Ein filmisch spektakulärer Tod einerseits, in einer Windmühle (ein Wahrzeichen aller Spielfilme Machins), die vom Feind in die Luft gesprengt wird. Aber ein sinnloser, menschengemachter Tod.
Bei der Open-Air-Vorführung auf der Piazza in Bologna bewies ein zweiter Schatz aus den Archiven, wie verheerend auch die physischen Wunden waren, die dieser Stellungskrieg in Dörfer, Städte und Landschaften riss. Zwanzig Minuten lang sah man da Luftaufnahmen eines restlos zerstörten Flandern im Jahr 1918, aus einem Zeppelin aufgenommen, dessen stummer Schatten über verwüstete Felder und zerbombte Häuser gleitet.
Zu den - vergeblichen - prophetischen Warnungen vor diesem Krieg traten in Bologna zwei Filme, die Anfang der Dreißiger Jahre die bekannten Verwüstungen des Ersten Weltkriegs nutzten, um vor der heraufziehenden Wahrscheinlichkeit eines neuen Kriegs zu warnen: Raymond Bernards französisches Schlachtfelddrama »Die hölzernen Kreuze« (Les croix de bois) von 1931 und Ernst Lubitschs US-amerikanische Adaption des französischen Theaterstücks »Der Mann, den sein Gewissen trieb« (The Man I Killed, auch: Broken Lullaby) von 1932. Bernards dokumentarisch-realistische Darstellung des Sterbens eines Kriegsfreiwilligen und seiner Schwadron sind so realistisch, dass sie späteren US-Produktionen als Steinbruch für »echte« Weltkriegsaufnahmen dienen sollte, während die Nazis den Film sofort verboten.
Lubitschs Film ist ein Gewissensdrama über einen jungen Franzosen, der ein Jahr nach Kriegsende seine vom Kriegsrecht gedeckten, aber moralisch belastenden Vergehen nicht vergessen kann. Vergebung suchend, fährt er zur deutschen Kleinstadtfamilie, deren Sprössling er im Schützengraben erstach. Der Film vereint Stumm- und Tonfilmästhetik mit nachhaltiger Wirkung, stellt aber auch einen völligen Fremdkörper im Werk von Lubitsch dar. Der deutsch-US-amerikanische Regisseur wechselte anschließend nahtlos ins Genre der hyperpolierten Geschlechterkomödien, für die seine späten Jahre berühmt sind.
Auch ein italienisches Melodram von 1913 war in Bologna noch einmal zu sehen, »Amor di Regina« (Die Liebe einer/zur Königin) von Guido Volante. In diesem Staatsstreichdrama wird eine fiktive Königin ins Exil geschickt. Der Regisseur des Films fiel kurz darauf im ganz realen Krieg.
Eine unerwartet frivole Komödie aus Deutschland (aber unter Regie des Dänen Viggo Larsen) passierte im Mai 1914 wundersamerweise den Zensor: In »Maison Fifi« (Untertitel: Lustspiel aus einer kleinen Garnison) mischt eine zugezogene Modistin die Männerwelt einer Garnisonsstadt auf. Hier können die Offiziere ihre Uniformen gar nicht schnell genug ablegen. Aber nicht etwa, um dem Gemetzel eines noch ganz imaginären Schlachtfelds zu entgehen, sondern bloß zum Zweck eines Uniformtauschs mit ein paar Expresskurieren, die neue Hüte liefern - mit dem Ziel der Infiltration von Madame Fifis Boudoir. Noch waren Garnisonsstädte verschlafen, nicht ausgestorben, noch taugten Uniformierte für Gags über die Relevanz des militärischen Rangs, weil der mit mehr Orden und Epauletten natürlich auch in amourösen Belangen jederzeit Vorrang hat.
Und auch von Charlie Chaplin war in Bologna viel die Rede, der als hochbezahlter Entertainer in Hollywood arbeitete, während das heimische England mobilisierte, und Chaplin sich gedruckten Schmähworten ausgesetzt sah, weil er sich nicht freiwillig meldete. Der zugleich aber so viel Geld für den Kriegsbetrieb spendete und einwerben half, dass die britische Regierung ihn lieber dort wusste, wo er war - und seine Schecks kassierte.
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