Kamera muss drin bleiben

Gericht setzt Videoüberwachung durch Polizei enge Grenzen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

In Niedersachsen darf die Polizei bei Kundgebungen und Versammlungen nur filmen oder fotografieren, wenn Gefahr im Verzug ist. Das vorsorgliche Ausfahren einer Kamera ohne konkreten Anlass hingegen ist rechtswidrig, urteilte am Montag das Verwaltungsgericht Hannover (Az 10 A 226/13). Ein Demonstrant hatte sich durch eine ausgefahrene Kamera eingeschüchtert gefühlt, sein Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt gesehen – und gegen die Polizeimaßnahme geklagt.

Am 21. Februar 2012 hatten in Bückeburg rund 500 Menschen gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit demonstriert. Die Teilnehmer zogen auf einer vorab festgelegten Route durch die niedersächsische Kleinstadt und hielten vor dem Rathaus eine Kundgebung ab. Zwischenfälle gab es keine.

Die Polizei hatte vorab jedoch einen unfriedlicher Verlauf nicht ausgeschlossen – im nahe gelegenen Bad Nenndorf waren Neonazis und ihre Gegner schon öfter aufeinander geprallt. Deshalb führte die der Polizeidirektion Göttingen unterstellte Einsatzleitung unter anderem ein Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps mit, das in der Nähe der Einmündung einer auf den Rathausplatz führenden Straße abgestellt war. Das Fahrzeug verfügt über eine Mastkamera, die durch eine Öffnung im Dach des Fahrzeugs bis auf rund vier Meter ausgefahren werden kann. Dieser Vorgang dauert knapp 40 Sekunden. Während der Versammlung war der Mast mit der Kamera auf etwa die Hälfte der maximalen Höhe ausgefahren. Nach Angaben der Polizeidirektion war die Kamera aber nicht im Einsatz.

Der Kläger war jedoch davon ausgegangen, auch gefilmt worden zu sein. Das Verwaltungsgericht schloss sich der Auffassung des Mannes an, wonach das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch die sogannnte »innere« Versammlungsfreiheit umfasst: Diese werde schon dann berührt, wenn bei den Teilnehmern einer Kundgebung der Eindruck entstehen kann, dass die Polizei von dem Versammlungsgeschehen Bild- und/oder Tonaufnahmen anfertigt. Ob das tatsächlich erfolge, sei unerheblich. Denn in der Regel könne ein Demonstrant, zumal wenn er sich in einiger Entfernung vom Beobachtungswagen befinde, von außen nicht hinreichend sicher beurteilen, ob die Kamera tatsächlich laufe oder nicht.

Eine Beobachtungskamera in der beschriebenen Weise für einen Einsatz bereit zu halten, sei als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr nach dem Niedersächsischen Versammlungsgesetzes nur dann erforderlich und damit gerechtfertigt, wenn nach den konkreten Umständen ein unfriedlicher Verlauf des Versammlungsgeschehens unmittelbar bevor stehe. Das sei bei der betroffenen Versammlung unstreitig nicht der Fall gewesen, so das Gericht weiter. Im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit müsse die Polizei grundsätzlich die geringe Verzögerung, die eine Herstellung der Einsatzbereitschaft einer zunächst komplett eingefahrenen Kamera mit sich bringe, hinnehmen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls ließ die Kammer die Berufung beim Oberverwaltungsgericht zu.

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