Betreuungsgeld in der Sackgasse
Eine Studie zeigt, wie sehr die umstrittene Familienleistung falsche Anreize in der Familienpolitik schafft
Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) hat dem umstrittenen Betreuungsgeld ein Jahr nach der Einführung positive Ergebnisse bescheinigt. »Das Betreuungsgeld ist eine Erfolgsgeschichte«, sagte die CSU-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa. Die Begeisterung erklärt sich vor dem Hintergrund der Zahlen: Besonders in Bayern und Baden-Württemberg wird das Betreuungsgeld nachgefragt - in den exemplarischen Ländern also für die Einversorgerfamilie, in der der Mann schaffen geht und die Frau zu Hause für die Familie und den Haushalt zuständig ist. Die CSU war es schließlich auch, die das Betreuungsgeld in der schwarz-gelben Koalition durchgedrückt hatte. Es schien, als haben die Christsozialen vor allem eine Leistung für ihre eigene konservative Klientel geschaffen.
Neue Erhebungen machen allerdings ein Problem deutlich, das Müller gern kleinreden würde. Die Familienleistung wird nämlich im hohen Maße von bildungsfernen Familien angenommen. »Das Betreuungsgeld wird von allen Einkommensschichten bezogen und gleichermaßen von Eltern mit und ohne deutschen Pass«, freut sich Müller. »Wir hatten im ersten Quartal 2014 in Bayern 28 000 Bezieher mit deutschem Pass und 5000 mit ausländischem Pass.«
Einer Studie des Deutschen Jugendinstituts und der Universität Dortmund zufolge bedeutet das zugleich: Das Betreuungsgeld stellt besonders für sozial benachteiligte Familien einen Anreiz dar. Und zwar den Anreiz, kein staatliches Angebot frühkindlicher Bildung zu nutzen, wie es in einem Abschlussbericht der Untersuchung heißt, bei der Wissenschaftler 100 000 Eltern mit Kindern unter drei Jahren befragt hatten.
Der Untersuchung zufolge erklärten 54 Prozent jener Eltern, die nur einen Hauptschulabschluss oder keine Berufsausbildung haben, dass das Betreuungsgeld Grund dafür sei, ihre Kleinkinder nicht in eine Kita zu schicken. Bei Eltern mit mittlerer Reife sahen lediglich 14 Prozent einen Anreiz darin, bei Akademikern reduziert sich der Anteil auf 8 Prozent. Ebenso betrachten deutlich mehr Familien mit Migrationshintergrund in dem Betreuungsgeld einen Anreiz dafür, ihre Kinder nicht in die Kita zu schicken (25 Pozent). Bei deutschen Familien liegt dieser Anteil lediglich bei 13 Prozent.
Nach Veröffentlichung der Studie scheint das Betreuungsgeld umstrittener denn je. Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) sieht die Familienleistung als Hindernis für Kleinkinder zu früher Bildung. »Gerade bei der Sprachförderung zeigt sich, wie wertvoll die Betreuung und Bildung in einer Kita ist.« Auch die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen erneuerte ihre Kritik: »Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Betreuungsgeld am Bedarf der Familien vorbeigeht«, erklärte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Britta Altenkamp.
Die umstrittene Familienleistung gibt es nunmehr seit August 2013. Eltern, die ihre Kleinkinder zu Hause behalten, erhalten demnach vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Lebensjahr monatlich 100 Euro. Im August dieses Jahres wird das Betreuungsgeld auf 150 Euro erhöht.
Alles andere als glücklich mit der Leistung ist auch die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Sie möchte in der Familienpolitik andere Schwerpunkte setzen und das Elterngeld reformieren, um jungen Familien Anreize für eine temporär bezahlte Auszeit vom Beruf zu verbessern. Eltern sollen mehr Zeit für die Familie haben, ohne aus dem Job auszuscheiden. »Das ist das, was sich viele Paare wünschen«, erklärte eine Ministeriumssprecherin dem Tagesspiegel. Über die Zukunft des Betreuungsgeldes wird indes das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Das Land Hamburg hat gegen die Familienleistung geklagt.
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