Einstürzende Neubauten in Entenhausen
Historische Rekonstruktion statt Denkmalschutz?
What looks good today may not look good tomorrow.« Dieser Satz prangte wie nagender Selbstzweifel an der Beständigkeit des eigenen Werks auf einem Bild des früh verstorbenen Malers Michel Majerus (1967-2002). War der künstlerische Erfolg nur dem kontemporären Massengeschmack geschuldet? Was wir heute als ästhetisch ansprechend empfinden, könnte schon morgen ein Dorn im Auge sein. Denn jener Geschmack, der die derzeit angesagten Maler schon bald in die Depots verbannt und in den Innenstädten mit der Abrissbirne jähe Gewalt an der Architektur kaum vergangener Dekaden verübt, ist äußerst wandlungsfähig. Das Schicksal der Architektur ist von dem der Bildkunst aber verschieden. Kunst, die nicht mehr gefällt, würden wir kaum zerstören. Bilderstürme haben zu Recht den Ruch des Barbarischen. So lagern wir unliebsame Kunst von gestern lieber in Depots. Bauwerken aber, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen, droht der Abriss.
Altstadt kracht, Bargeld lacht. Um Investoren anzulocken, sind unternehmerisch agierende Städte bereit, für schnelles Geld unwiederbringlichen Schaden am urbanen architektonischen Erbe anzurichten. Man kann angesichts desaströser Großprojekte der konkurrierenden Metropolen wissen, warum die Städte stetig auf der Suche nach neuem Geld sind, ohne Verständnis dafür aufzubringen. Dass zu viel Wettbewerb ihnen langfristig schadet, kann man an defizitären Großbauvorhaben, an Gentrifizierung und urbaner Normalisierung erkennen. Aus überteuerten Innenstädten verschwinden Alteingesessene. Die immer gleichen Fußgängerzonen und Einkaufszentren erwachsen.
Neben brutalistischer Landmarken-Architektur hat sich ein Teil der Stadtentwickler dem nostalgischen Bauen verschrieben. So oder so hofft man, durch artifizielle Alleinstellungsmerkmale im City-Ranking zu punkten. Dabei verschwindet Altes, damit vermeintlich Älteres neu entstehen kann. Interessanterweise sind es gerade die zur Betonung einzigartigen Flairs auferstandenen »historischen« Altstädte, die mit ihren Attrappen zu dem befürchteten Einerlei beitragen. Ihr im Baustoff ausgetragener Kampf gegen die Geschichtslosigkeit entspricht in haarsträubender Weise den Anrufungen altdeutscher Blockrandbebauung, römischer Foren, griechischer Tempel und sizilianischer Landszenen, die uns längst in Einkaufszentren quälen.
Es entstehen ahistorische Stadträume, die mit künstlich ersonnener Geschichtlichkeit aufgefüllt werden. Das Argument, den Menschen in Zeiten der Globalisierung mit romantischem Fachwerk ein Gefühl der Geborgenheit zu geben, erscheint dürftig angesichts des Verschwindens von sozialen Stadtgefügen, die Menschen ihr Leben lang geprägt haben. Letztere sind mehr Teil der eigenen Geschichte als der Zombie-Stuck aus der Retorte.
Die Leitbilder der unkritischen Rekonstruktion scheinen offensichtlicher dem Citymarketing zu entspringen als einem veritablen Interesse an Tradition. So fallen interessante bauliche Ensembles der architektonischen Moderne immer wieder dem finanziellen Interesse zum Opfer. Rekonstruktionen sind Wirtschaftsfaktor. Die Tatsache, dass diese inkorrekten Interpretationen von Barock bis Biedermeier Geschichte lediglich symbolisieren, stört dabei wohl wenig. Simulakrum nennt man den Ersatz, der das Original auslöscht. Der Frankfurter Römer oder die sogenannte Altstadt von Hannover sind nicht nur notorische Beispiele für mangelnde Akkuratesse. Bislang werden sie nicht nur von Touristen, sondern auch von Einheimischen als Originale angenommen. Solch historisierende Bauten bleiben aber letztlich referenzlos.
Ob es im Fachwerk nach Tiefgarage mufft oder der hastig verputzte Barock schon bröckelt; der Baukunst der alten Meister scheint kein modernes Bauunternehmen gewachsen. Das moderne Bauen indes hat seine eigenen Techniken. Werden diese meisterlich ausgeführt, tun wir uns oft schwer, dies zu erkennen. Die landläufige Meinung von der Hässlichkeit der Moderne kann nur aus einer Unkenntnis kommen, die zwischen Plattenbau und Corbusier-Haus nicht zu unterscheiden vermag. Mehr aus Ressentiment denn aus klarem Empfinden zieht sie den Schnörkel der klaren Kante vor. Ungepflegt, nachlässig renoviert und vom Denkmalschutz im Stich gelassen - bleiben von der Moderne bald nur einstürzende Neubauten?
Nun sind die Hamburger City-Hochhäuser vom Abriss bedroht. Trotz Denkmalschutz empfahl die Finanzbehörde der Hansestadt den Rückbau und Verkauf. Der Gebäudekomplex befindet sich auf einem Filet-Stück, das der Hamburger Bau-Senat schon lange versucht, gewinnträchtig zu verkaufen; der Ausverkauf der städtischen Liegenschaften um die Speicherstadt soll weiter vorangetrieben werden. Als Argument gegen die 1955 errichteten Häuser soll ihre angebliche Hässlichkeit herhalten, die heute nicht mehr zeitgemäß sei. Ob Hässlichkeit heute nicht mehr zeitgemäß ist - diese Frage zu vertiefen, erspare ich mir. Werfen wir stattdessen einen genaueren Blick auf diese Bauten.
Die Gebäude waren die ersten Hamburger Hochhäuser nach Kriegsende. Die Scheibenhäuser brachen mit dem hanseatischen Blockrand und stellten somit ein luftiges Novum am Rande der Speicherstadt dar. Erst in den siebziger Jahren wurden sie in jenes graue Büßergewand aus Eternit gesteckt, an dem viele, vielleicht zurecht, Anstoß nehmen. Darunter verbirgt sich die weiß gekachelte Originalfassade aus den 1950er Jahren. Daher muss es gelten, zwischen dem Original und seiner Modifikation zu unterscheiden.
Der Architekt des »City-Hofs«, Rudolf Klophaus, war indes gewiss kein Vertreter der Avantgarde. Je nach Zeitgeschmack vermittelte er stets zwischen Tradition und Moderne. Diese Strategie war vielleicht maßgeblich für sein umfangreiches Bauen in drei verschiedenen politischen Systemen. Zur Zeit der Weimarer Republik bekannt geworden durch einen hanseatisch verhaltenen Backsteinexpressionismus, versuchte er sich unter Hitler mit völkischen Elementen und regionalistischem Couleur. Ab 1948 durfte der forthin als entnazifiziert geltende Architekt seine Arbeit wieder aufnehmen. Mit dem »City-Hof« baute er eine monumentale Verkörperung eines - sicherheitshalber dem internationalen Stil verpflichteten - neuen Selbstbewusstseins des westlichen Nachkriegsdeutschland. Diese wenig bescheidenen Häuser geben, mit einem Hauch von Entenhausen, Aufschluss über eine Epoche, deren ideologieträchtige Ästhetik in der Kulturgeschichte bislang wenig vertieft wurde. Daher sind sie für die fünfziger Jahre baugeschichtlich relevant.
Dass subjektives Schönheitsempfinden kein Argument für den Denkmalschutz sein kann, leuchtet ein. Gebäude sollen erhalten bleiben ob ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung. Doch gerade hier tut man sich oft schwer. Verschämt verhüllt man moderne Bauten, lässt sie gar verkommen. Insbesondere in Bezug auf das architektonische Erbe der DDR haben sich Stadtentwickler und Architekten als ideologisch und wenig kulturgeschichtlich behutsam erwiesen. Das Trauerspiel um den Palast der Republik und den Wiederaufbau des Berliner Stadtschloss ist nur eines von vielen Beispielen.
Die beim Publikum erfolgreichsten Rekonstruktionen werden mitunter der Denkmalfunktion am wenigsten gerecht. Bunkerarchitekturen entfalten, auch dank ihrer Klobigkeit, die Fähigkeit zum Denkmal. Die Epoche, die es repräsentiert, sollte dem Betrachter in der Gesamtheit von Aufstieg und Niedergang gegenwärtig werden. Ob die Frauenkirche in Dresden nicht im eingestürzten Zustand mehr Denkmalcharakter hatte als in ihrer jetzigen Form als touristische Altstadtkulisse, darüber kann man streiten.
Weder Ästhetik noch kommerzielle Erwägungen können für den Denkmalschutz ausschlaggebend sein. Die Vorstellung, dass wir uns künftig nur noch mit dem Erbe der Geschichte beschäftigen, wenn dieses erquicklich und den Augen wohlgefällig ist, beschwört eine schöne neue Welt, in der ich nicht leben möchte. Historische Rekonstruktionen aber sind Neubauten. Diese rückwärtsgewandte Mode könnte schon morgen ein Ärgernis sein. Wer hingegen die Spuren der neueren Geschichte auslöscht, trägt eventuell die Verantwortung für die lästigen Rekonstruktionen der nächsten Zukunft.
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