Wie ein tragisch-guter Popsong

Elizabeth Ellen: »Die letzte Amerikanerin« ist eine Art Teenagerroman in Erzählungen

  • René Hamann
  • Lesedauer: 3 Min.

Elizabeth Ellen ist ein Hottie. Also eine verdammt gut aussehende junge Frau, die in Literatur macht, ihre eigene Zeitschrift (»Hobart«) herausgibt und neben Amy Hempel oder Mary Miller eine kommende weibliche Stimme der US-amerikanischen Literatur ist. Sie ist hellblond, posiert auf ihren Autorinnenfotos gern leichtbekleidet auf unmöglichem, weil kleinbürgerlichem Mobiliar, steht auf Rockmusik und David Foster Wallace.

Ihre Erzählungen, die jetzt im Band »Die letzte Amerikanerin« zusammengefasst erscheinen, sind sehr überraschend. Sie sind wohltuend einfach erzählt, meist aus der Ich-Perspektive, und immer nah an der weiblichen Hauptfigur. Und die ist ein Teenie. Oder nicht mal das. Ein Kind. Ein Backfisch. Eine junge Erwachsene, die rückblickend ihr Leben erzählt - ein »White-Trash«-Zögling, mit einer Mutter, die die Wohnorte wechselt wie die Männer; die vom Kellnern lebt oder sich aushalten lässt.

»Die letzte Amerikanerin« ist eine Art Teenagerroman, der in Erzählungen eingeteilt ist: Erzählungen, die im Internat spielen; von einer platonischen, jungen Liebe zur Zimmermitbewohnerin handeln, die am Ende schwer enttäuscht wird; von den Geräuschen, die die Mutter beim Sex mit ihren jeweiligen Lovern macht; vom Vater, der anderswo eine neue Familie gründet; von der kleinen Stiefschwester, mit der sie im Pool schwimmt und der sie dann das Knutschen beibringt, weil sie für den coolen Jungen dann doch zu schüchtern ist. Und alles in einer einfachen, aber nie schlichten Sprache.

Dazu gibt es reichlich Ausstattung. Also verlorenes, wiedergefundenes Material aus einer verlorenen, wiedergefundenen Zeit: die achtziger Jahre. Bands, Fernsehstars, Naschwerk. Vieles bekannt, vieles vergessen, aber vieles, was auch eigene Erinnerungen wieder hochspülen kann. Man merkt, wie tief die Erzählerin in dieser Zeit steckt und was sie nicht vergessen kann.

»Die letzte Amerikanerin« ist nämlich eine Außenseiterinnengeschichte. Im Grunde genau das, was der deutschen Literatur so abgeht, Wolfgang Herrndorfs »Tschick« vielleicht ausgenommen: eine Geschichte aus der Unterschicht, eine Geschichte, die Gesellschaft vom Rand aus erfasst und dabei stets einladend bleibt, wie ein tragisch-guter Popsong. Eine traurige, empathische, endkrasse Geschichte, die vom Heranwachsen unter äußerst ungünstigen Umständen erzählt: Patchwork, Alkohol, Internat, Geschwisterliebe.

Dieses Buch könnte 15-Jährigen tatsächlich sehr gefallen, und sie hätten dann ein gutes Buch gelesen und nicht irgendeinen Krokodil-Häschen-Schrott mit künstlich niedlicher Sprache, geschweige den ganzen Genre-Mist, den es zwischen »Harry Potter« und dem »Herrn der Ringe« inzwischen so gibt.

Elizabeth Ellen schreibt einfach, aber durchaus mit wiedererkennbarem Stil; ihre Geschichten sind konventionell gebaut, aber inhaltlich nie langweilig. Für Erwachsene ist das also durchaus auch was.

Und dieses Buch ist die reale, nicht immer lustige, aber insgesamt sehr eindrucksvolle Antwort auf die »Tribute von Panem«, wenn man so will. Echte Literatur aus dem echten Leben.

Elizabeth Ellen: Die letzte Amerikanerin. Zwölf Storys. Aus dem amerikanischen Englisch von Christoph Jehlicka. Schwarzkopf & Schwarzkopf. 240 S., br., 14,95 €.

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