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Mördermänner, Mörderlöwen
Mia Couto aus Mosambik schrieb einen Roman voller Schrecken und Geheimnis
Gott war einmal eine Frau« - so beginnt dieses Buch, das so viel Spannung verspricht und so viele Rätsel, die, das sei vorab gesagt, sich nicht alle auflösen lassen. Oder doch? Vielleicht müssten wir nur sehr, sehr tief in unsere eigene Vergangenheit tauchen, um jener Geisteswelt zu begegnen, die uns hier so fremd anmutet. Magisches Bewusstsein: Menschen, Tiere, Dinge können sich verwandeln, in jeder Begebenheit verbirgt sich geheimer Sinn. Wer hier in Deutschland lebt, dem kann es Spaß machen, mit solchen Gedanken zu spielen. Aber im Dorf Kulumani im Norden von Mosambik verbirgt sich dahinter ein Schrecken, der für die meisten schon so alltäglich ist, dass sie sich anderes gar nicht mehr vorstellen können. Grausige Normalität, die ein Schriftsteller mit kraftvollen Worten und eindrucksvollen Szenen hätte anprangern können. Aber gerade das tut Mia Couto nicht. Geheimnisse, Andeutungen - der Leser ist wie von einem Zauber umfangen. Ein Magier des Wortes tritt uns entgegen.
Kulumani: Ein vergessener Ort, wären da nicht die Löwen - Mörderlöwen, die nachts offenbar bis in die Behausungen vordringen. Oder ist es nicht so? Jedenfalls wurden in kurzer Zeit schon mehrere Menschen zerrissen. Aus der Hauptstadt wird ein Jäger geschickt, in seiner Begleitung ein Schriftsteller, der eine Reportage schreiben soll, und der Distriktverwalter kommt auch mit, dem der Sieg über die Löwen politisch zugute käme. Dabei ist auch dessen beleibte Gattin, Dona Naftalinda, die man, wie zu erleben ist, nicht unterschätzen sollte. Denn sie scheint mehr Einblick in die Realität des Dorfes zu haben als die drei Männer zusammen.
Sie hat gehört, »dass die Löwen nur Frauen töten« und kommt irgendwann auf die für ihren Mann erschreckende Idee, sich selbst als Köder darzubieten. Der Distriktverwalter liebt seine Frau, was man von vielen Männern im Buch nicht sagen kann. Die wüssten gar nicht, was das ist: Liebe. Und die Frauen finden keinen Trost; am Ende haben sie nur noch Hass.
»Gott war einmal eine Frau«: Eine Stimme im Buch gehört der jungen Mariamar, die gerade ihre Schwester an einen Löwen verloren hat und die uns am Schluss ein Geständnis macht, das wir nicht glauben können, so schrecklich ist es, so verwirrend, verrückt. Die andere Stimme: das Tagebuch von Arcanjo Bajeiro, dem letzten Sohn aus einer Großwildjägerdynastie. Viele Jahre zuvor hatte Mariamar in Arcanjo schon einmal ihren Retter gesehen. Auch diesmal wird er sie retten, aber anders, als sie glaubt.
Die Menschen von Kulumani: »Jahrhundertelang haben sie am Rande der Welt gelebt.« Dem Schriftsteller, der sie interviewen will, begegnen sie mit Misstrauen. »Wir sind alle als Tote aus dem Krieg zurückgekommen«, sagt ein Bauer. Mia Couto lebt ja in Maputo. Er kann es für selbstverständlich nehmen, dass seine Leser von dem Bürgerkrieg wissen, der 16 Jahre währte und der im Grunde wohl auch ein Krieg der Großmächte war. Der blinde Seher von Kulumani hat für die Mörderlöwen eine rationale Erklärung: Im Krieg hätten Menschen und Tiere die Plätze getauscht. »Während der Kämpfe habe man Leichen im Gelände und auf den Landstraßen liegen lassen. Die Löwen hätten sie gefressen. Damit hätten die Tiere ein Tabu gebrochen: Sie begannen, Menschen als Beute zu betrachten.« Dagegen glauben viele in Kulumani, dass irgendwer die Löwen produziert. Als Rächer vielleicht für ihre Untaten?
Dem Buch liegen tatsächliche Ereignisse zugrunde: Mia Couto, im Hauptberuf Professor für Biologie, war 2008 in einer Region gewesen, wo innerhalb kurzer Zeit 26 Menschen von Löwen zerrissen worden waren, und er hat erlebt, wie den von außen geschickten Jägern suggeriert wurde, »die wahren Täter seien Bewohner der unsichtbaren Welt, wo Gewehre und Kugeln nichts mehr auszurichten vermögen«. Auch hier wollen die Männer des Dorfes die Dienste des Jägers nicht. Aber warum versagen diesem nun selbst die Finger, um den Abzug zu drücken? Warum gibt er dem Schriftsteller seine Waffe? Nicht lang zuvor hatte er ihn von oben herab belehrt, dass er sich bloß fürchte, von dem Tier gejagt zu werden, das in ihm steckt: »Ein Teil seiner Seele werde immer wild bleiben, voller unbezwingbarer Monster.« Er hat Grund zu der Ansicht. Vor seinen Augen hat sein Bruder seinen Vater umgebracht. Weil er den Tod der Mutter verursachte.
Kusungabanga - in Mosambik wird dieses Wort noch viel aufrüttelnder sein. Vielleicht wird man das Buch dort vor allem als Anklage lesen: gegen die immer noch übliche Unterdrückung der Frauen, die himmelschreienden Grausamkeiten, die sie ertragen müssen.
Mia Couto: Das Geständnis der Löwin. Roman. Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner. Unionsverlag. 272 S., geb., 19,95 €.
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