Ohne Halt durch den Regen
»Die Nacht kurz vor den Wäldern« in der Brotfabrik
Der Humor sei nicht eindeutig. Man brauche Zeit, ihn zu verstehen. Natürlich. Bernard-Marie Koltès wusste, mit welch verlässlicher Intensität sich Komik durch die Tragik bricht. Er nutzte es für den Monolog »Die Nacht kurz vor den Wäldern«. Nicht von ungefähr wird das von ihm 1977 uraufgeführte Stück immer wieder auf die Bühne geholt. Auch das Theater in der Weißenseer Brotfabrik zeigt es nicht zum ersten Mal. Aktuell gastiert damit die Gruppe BROTundSPIELER. Regie führt Marjam Azemoun. Es spielt Rüdiger Hellmann.
Hellmann weiß die tragische Komik anzubringen. Die Verlassenheit des Mannes, der da in der Nacht durch die Vorstadt zieht und immer wieder mit dem »Scheißregen« hadert, ist deutlich. Dieser Mann, der ein Zimmer für die Nacht sucht, beobachtet, kritisiert, deklamiert, sinniert über das Leben, über die Liebe. Er schimpft über Idioten, Schweine, Schlampen, Halbstarke. Spricht jedoch auch darüber, wie es ist, wenn man eine schöne Frau oder einen schönen Mann sieht, für die man alles stehen und liegen lassen will, um ihnen zu folgen. Das malt er sich aus und wagt es. Prügel musste er einstecken.
Die kühnsten Theorien stellt der Mann auf, um sie einem Unsichtbaren aufzutischen, der sich alles anhört. International sollten seine Visionen wirksam werden. Da steht er kämpferisch da mit seiner Faust in der Luft, erstarrt in dieser Haltung. Was ist denn in ihn gefahren, solche Kampfeslust zu entwickeln? Er kann es selbst nicht fassen, wechselt das Thema. Die Figur, die Koltès hier schuf, hat sich von allem gelöst. Sie blickt sozusagen von einer anderen Ebene. Auf ein Zuhause, das es nicht mehr gibt. Auf Arbeit, der sie nicht mehr nachgeht. Dieser Mensch hat keine Verpflichtungen mehr und die Fähigkeit verloren, welche einzugehen. Von Momenten der Resignation befreit er sich mit der Hilfe der Illusion.
Gut gelungen sind der Regisseurin die Brüche. Sie lässt den Schauspieler innehalten. Er verharrt - stehend, sitzend, liegend, rappelt sich wieder hoch. Die Ausstattung der Bühne - die Gruppe schuf sie selbst - erschließt sich allerdings nicht völlig. Die Bedeutung der Bilder am Boden erklärt sich nicht, weil die Regisseurin Hellmann die Bühne auch nur teilweise durchqueren lässt. Einfühlsam und wirkungsvoll ist dagegen die von Thea Farhadian unterlegte Musik.
Der Schauspieler benutzt die in diesem Stück oft übliche Clownsnase und arbeitet damit gut. Auch eine weiße Maske ist im Spiel. Wenn er hinter ihr spricht, überzeugt es nicht. Trägt er sie wortlos vorm Gesicht, hat er wunderbare Bewegungen. Poetische Bilder entstehen, die in ihrer Ruhe erzählen. Über die Suche nach Nähe, die der Mann zeitweise wortreich bestreitet, dann wieder in Erinnerung an die Mutter heraufbeschwört.
Das Stück ist anstrengend. Für den Darsteller selbstverständlich, für die Zuschauer auch. 90 Minuten spielt Hellmann. Das Dunkle zehrt nicht nur an der Gestalt, die er verkörpert. Tragisches rührt wie Komisches, kann in den Köpfen der Zuschauer einiges in Gang setzen. Schließlich erzählt das Stück vom Zustand unserer Gesellschaft, von Armut, die wir in der Stadt vor Augen haben, von Monologen, die sich niemand anhört.
Spannende Gegenwartsdramatik wird es im Oktober (17./18.10.) an der Brotfabrikbühne wieder geben mit einer neue Folge des »24- Stunden-Theaters«. Mit aktuellen Zeitungsberichten als Vorlage schreiben vier Autoren über Nacht vier Stücke. Vier Regisseure inszenieren sie mit acht Schauspielern für den folgenden Abend.
Bis 31.8., 20 Uhr, Brotfabrik, Caligariplatz 1, Tel.: (030) 471 40 01/02, www.brotfabrik-berlin.de
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