Emos, Rocker, Rapper ...
Der Kubaner Leonardo Padura über seinen neuen Roman, die Verantwortung der Intellektuellen und das Leben mit dem Exil
nd: In ihrem neuesten Roman «Ketzer» erzählen Sie die Geschichte eines geheimnisvollen Heiligenbildes, das vom Amsterdam Rembrandts in das Kuba des Zweiten Weltkrieges gelangt, um Jahrzehnte später dort wieder zu verschwinden. Dazwischen liegen tragische Geschichten, die sich um die Shoa drehen und zwei mutmaßliche Kriminalfälle in Kuba ... Wie kamen Sie auf das Thema der Juden in Kuba und wie kommt die Verbindung zu Amsterdam zur Rembrandt-Zeit zustande?
Padura: Eigentlich wollte ich einen Roman über einen jungen Kubaner und sein Verhältnis zur Freiheit schreiben. Aber mir war klar, dass ich mit der Konstellation «Jugendlicher-Kuba-Freiheit» meinen Roman zu sehr in die politische Ecke bringen würde. Das passierte mir bei meinem vorherigen Buch über Trotzki «Der Mann, der Hunde liebte». Dessen Rezeption hob fast nur das Politische hervor. Aber gut, letztlich ist es auch ein politischer Roman. In meinem neuen Buch wollte ich die gesellschaftlich-menschliche Thematik in den Vordergrund stellen.
Deshalb die Hinwendung zur Geschichte?
Ich fand es interessant, wie die Juden im Amsterdam des 17. Jahrhunderts ein großes Maß an Freiheit genossen, aber gleichzeitig in ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft vielerlei Einschränkungen unterlagen. Daraus erwuchs bei mir die Idee, eine Brücke zu den Juden nach Kuba zu schlagen, die dort ebenfalls frei, aber eben auch in den Grenzen lebten, die ihnen ihre Gruppe setzte. Über die historischen Momente, in denen die Handlungsstränge spielen, versuche ich die spannungsreiche Beziehung des Individuums zur Freiheit zu zeigen.
Ja, wie lebt man das: Freiheit? In ihrem Roman kommen zum Beispiel sogenannte Emos vor. Viele europäische Leser könnten sich wohl gar nicht vorstellen, dass es so eine Subkultur auch auf Kuba gibt.
Jedes Mal, wenn ich in Havanna die Hauptstraße Calle G im Stadtteil Vedado entlangfuhr, sah ich diese Art von Jugendlichen dort herumhängen. Alter Mann, der ich nun mal bin, dachte ich mir: «Schau nur diese Nichtsnutze an, wie sie ihre Liedchen auf der Gitarre klimpern und dazu Rum kippen. Dort treffen sich nicht nur Emos, sondern auch Rocker, Rastas, Rapper, Schickimickis ... Freunde, die dort in der Nähe wohnen, erzählten Horrorgeschichten von ihnen, von all den »skandalösen Dingen«, die wir als junge Menschen selbst einmal gemacht haben. Dennoch kritisieren wir die Jüngeren eher, bevor wir versuchen, sie zu verstehen.
Ihre Hauptfigur El Conde hat ein entschiedenes Problem mit ihnen, obwohl seine Bereitschaft zu verstehen, groß ist.
Es gibt einige Aspekte der Emo-Philosophie, die sowohl für El Conde als auch für mich schwer nachvollziehbar sind: Sich selbst Leid zuzufügen. Sich Depressionen hinzugeben. Stets verbittert und gegen alles sein zu wollen, selbst wenn kein Anlass dafür besteht. Der Roman versucht eine menschliche Annäherung an diese Jugendlichen und ihre Denkweisen.
Ein stets wiederkehrendes Sujet in Ihren Romanen ist das Exil. Was zieht Sie daran so an?
Das Exil ist eines der großen Dramen in der Geschichte Kubas. Es war seit den Anfängen des Landes gegenwärtig. Der erste Kubaner, der von Heimat - patria - spricht, ist der Dichter José María Heredia (1803-1839). Auch er ging ins Exil. Selbst unser Nationaldichter und »Apostel« José Martí (1853-1895) wohnte länger außerhalb als in Kuba. Gegenwärtig lebt ein Fünftel der kubanischen Bevölkerung im Ausland. Wir reden hier also nicht von einem Gauguin in Tahití, sondern davon, was es für einen kubanischen Bürger bedeutet, fern von seiner patria leben zu müssen. Das habe ich auch zum Gegenstand eines Drehbuchs für einen Film gemacht, den der französische Regisseur Laurent Cantet jüngst in Kuba drehte.
Sie kritisieren die Zustände in Kuba mitunter hart. Sie leben und arbeiten in Mantilla, einem Vorort von Havanna. Worin sehen Sie Ihre Verantwortung als Intellektueller?
Literatur sollte zwar primär als Literatur wirken, zugleich aber einer gesellschaftlichen Verpflichtung folgen. Unter den Bedingungen Kubas fällt dem Schriftsteller eine besondere soziale Verantwortung zu. Denn die Möglichkeiten, in Kuba das Wort zu ergreifen, waren lange Zeit sehr begrenzt. Da die kubanische Presse nur wenig ausdrückte, was in Kuba gedacht und gefühlt wurde, entwickelte sich die Literatur zu einer Stimme, die von den Unsicherheiten, den Misserfolgen und Niederlagen der Menschen erzählt. Deshalb glaube ich an ihre soziale Verbindlichkeit und das setze ich in meiner Literatur um.
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