Die Ödnis im Herzen der Stadt
50 000 Geschäften droht in den nächsten Jahren das Aus, warnt der Einzelhandelsverband
Der Online-Handel boomt und boomt - doch der drohende Niedergang ganzer Innenstädte durch eine Welle von Ladenschließungen ist für viele Experten die schmerzliche Kehrseite des florierenden Internet-Geschäfts. »Ohne den Handel könnten viele Standorte veröden«, warnt der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands HDE, Stefan Genth, am Mittwoch in Düsseldorf. Falls es nicht gelinge, so Genth, die Attraktivität der Stadtzentren zu erhalten und möglichst noch zu erhöhen, fürchte man in den nächsten fünf bis sechs Jahren das Aus für etwa jeden zehnten Laden. Betroffen wären demnach rund 50 000 der bundesweit rund 500 000 Geschäfte.
Vor allem kleine und mittelständische Betriebe, die sich gegen die zunehmende Konkurrenz aus dem Internet nur schwer behaupten könnten, stehen nach Einschätzung des Branchenverbands auf der Kippe. Mit einem Anteil von rund 30 Prozent nutzt nach einer aktuellen Umfrage des HDE bislang nur eine Minderheit der Händler das Internet als Vertriebsweg. Mehr als zwei von drei Händlern (70 Prozent) verzichteten noch auf diese Möglichkeit, hieß es.
Gleichzeitig werden Kunden in vielen Innenstädten mittlerweile rar. Fast drei Viertel (74,4 Prozent) der rund 1200 befragten Händler berichteten über sinkende Besucherzahlen in den Läden. Fast jeder Dritte (31,1 Prozent) beklagte sogar einen starken Rückgang.
Der Online-Handel könne seinen seit Jahren anhaltenden Siegeszug dagegen auch in diesem Jahr unvermindert fortsetzen, meint man bei der HDE. Während der gesamte Einzelhandel seine Umsätze in diesem Jahr voraussichtlich um 1,5 Prozent auf knapp 457 Milliarden Euro steigern kann, soll der E-Commerce um 17 Prozent zulegen und die neue Rekordmarke von 38,7 Milliarden Euro erreichen. Bis zum Jahr 2020 wird mit einem Anstieg des Online-Anteils am deutschen Einzelhandel von derzeit etwa acht bis neun Prozent auf rund 30 Prozent gerechnet. Besonders in der Bredouille laut Branchenvertretern: Textilhändler sowie Läden in Randlagen der großen Städte oder in Klein- und Mittelstädten oder auf dem Land. Denn zu der Attraktivität des Online-Handels komme noch die demografische Entwicklung mit sinkenden Einwohnerzahlen in vielen Regionen. Trotz einer für 2014 erwarteten stabilen Beschäftigtenzahl im deutschen Einzelhandel von rund drei Millionen Mitarbeitern könne es in den betroffenen Regionen Probleme bei der Suche nach neuen Jobs geben.
Den auf ein besonderes Angebot spezialisierten Juwelier etwa werde es dagegen auch künftig weiter geben, sagt Genth. Zu den Gewinnern der Entwicklung könnten auch die Zentren der großen Städte wie etwa Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main oder München gehören, die vom Trend zum Wohnen in den Innenstädten profitieren dürften.
Als Mittel im Kampf gegen die Verödung der Innenstädte fordert der Handelsverband Investitionen in die Attraktivität der Standorte. »Städte, die ihre Hausaufgaben nicht machen, werden große Probleme haben«, meinte Genth. Die Händler wünschten sich vor allem eine bessere Erreichbarkeit der Stadtzentren sowie mehr Investitionen durch die öffentliche Hand.
Denkbar seien aber auch alternative Nutzungen etwa für leergezogene Warenhaus-Standorte. Warum etwa sollten keine Wohnungen in den Obergeschossen der einstigen Einkaufstempel entstehen? Für den Deutschen Städte- und Gemeindebund wäre das jedenfalls eine Möglichkeit. »Das Thema ist überall erkannt«, sagte Sprecher Franz-Reinhard Habbel. Viele Kommunen arbeiteten bereits an entsprechenden Stadtentwicklungskonzepten. Doch bei vielen von ihnen sei der finanzielle Spielraum eingeschränkt, schnelle Lösungen seien schwierig: »Städtebau ist eine langfristige Geschichte.« dpa/nd
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