»Irgendwann fliegt das Ding in die Luft«
Im niedersächsischen Ritterhude ist eine Entsorgungsfirma für chemische Stoffe explodiert, die Stadt ist geschockt
Das Ausmaß der gewaltigen Explosion in einer Entsorgungsfirma für chemische Lösungsmittel wird erst am Morgen danach sichtbar: Anwohner stehen fassungslos vor ihren von der Druckwelle teils schwerbeschädigten Häusern. Die Fabrik liegt mitten in einem Wohngebiet der niedersächsischen Kleinstadt Ritterhude bei Bremen. Bis zu 40 der gepflegten Einfamilienhäuser haben Schäden abbekommen, acht sind nach Angaben der Polizei nicht mehr sicher. Die Bewohner sind jetzt obdachlos.
Einige Anwohner dürfen noch am Mittwochvormittag zurück nach Hause. Feuerwehr und Polizei räumten zuvor etliche Häuser nach der Explosion. Statiker hätten die Gebäude zunächst überprüfen müssen, sagt Gemeindebrandmeister Jochen Pieper. Vor der provisorischen Einsatzzentrale auf der Straße drängen sich Betroffene um eine Tafel. Dort notiert ein Beamter, welche Häuser freigegeben sind und welche gesperrt bleiben. Ein junges Mädchen weint in den Armen ihres Vaters: »Ich will nach Hause«, schluchzt sie. Aber noch ist das Haus nicht freigegeben.
Die Straßen rund um die Unglücksstelle sind mit Dachziegeln und Glassplittern übersät. Fensterrahmen hängen schief, Rollläden sind verbogen, Garagentore eingedrückt, Löcher klaffen in Dächern. Die Druckwelle muss durch einige Häuser geradezu hindurchgefegt sein. In einem Schlafzimmer ist das Bett mit Glasscherben bedeckt.
Vier Menschen sind verletzt worden, darunter ein 60-jähriger Mitarbeiter der Firma, der mit schweren Verbrennungen in einer Spezialklinik liegt. Rettungskräfte hatten ihn in der Nacht auf dem Firmengelände gefunden.
Claudia Schwarz saß vorm Fernseher, als es am Dienstagabend knallte. »Es flog bei uns alles durch die Gegend, die Scheibe des Wohnzimmerfensters zersplitterte. Wir sind sofort raus«, sagt sie. »Wir haben immer gesagt, irgendwann passiert da was, irgendwann fliegt das Ding in die Luft.«
Das Haus der vierköpfigen Familie steht keine 50 Meter von der Firma entfernt - und ist schwer mitgenommen. »Egal, wo man hingeht, man schaut direkt ins Blaue.« Das Haus gehört zu den nicht mehr bewohnbaren Gebäuden. Die Familie wird zu Freunden im Ort ziehen. »Ich hoffe, wir können das Haus reparieren.«
»Wir haben die Firma immer mit Sorge beguckt«, sagt auch die Bürgermeisterin von Ritterhude, Susanne Geils (SPD), bereits am Abend. »Wir haben immer gesagt, diese Firma ist an dieser Stelle völlig fehl am Platz.« Von der Entsorgungsfirma ist nach Explosion und Großbrand nicht mehr viel übrig geblieben. Nur ein paar Außenmauern der Produktionshalle stehen noch. Teile des Hallendaches finden die Einsatzkräfte in den Vorgärten einiger Häuser.
Die Feuerwehr versucht immer wieder, aufglimmende Glutnester zu löschen. Erst, wenn das gelungen ist, beginnen die Brandermittler mit der Suche nach der Ursache des Unglücks. dpa
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