Die Bücher im Kopf

  • Fritz Rudolf Fries
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Schicksal des edlen Ritters Don Quixote von der Mancha ist bekannt. Fast waren Bücher seine einzige Nahrung, sieht man vom spärlichen Eintopf ab, den ihm seine Haushälterin kochte. In seinem immer wieder kommentierten Roman zeigt uns Miguel de Cervantes, wie die Uhr in unserem Kopf verrückt spielt, wenn wir das, was wir lesen, für bare Münze nehmen. Der Ritter von der traurigen Gestalt nimmt sich vor, dem Beispiel der fahrenden Ritter zu folgen, die Uhr zurückzudrehen und ein Zeitalter hilfsbereiter Menschlichkeit und edler Gesinnung in die miserable Gegenwart zurückzuholen. Es ist ohne Beispiel, wie hier ein Autor zum Nutzen des Lesers seinen Helden blamiert. Don Quixote hält Windmühlen für Riesen und eine Schafherde für eine feindliche Armee, und hätte er nicht seinen Knappen, den Bauern Sancho Pansa, an seiner Seite, wir hätten nie erfahren, dass die Sache gut ausgeht und der Herr Quixote auf dem Totenbett seinen Verstand wiederfindet. Hat er auch die Liebe seines Lebens nicht gefunden, so erlaubt ihm sein Autor, uns ein paar Bücher zu empfehlen, die uns den Weg in ein fernes Arkadien weisen, wo Mensch und Natur im Einklang leben.

Ein anderer Büchernarr gehört in unsere Gegenwart. Es ist der argentinische Dichter Jorge Luis Borges, der blinde Seher von Buenos Aires. Besessen von entlegenen Sprachen, Sagen und Mythen hat er ein Werk hinterlassen, darin die Philologen zu Dichtern werden und die Dichter hinabtauchen in den Brunnen der Zeit und zurück kommen wie Landvermesser in einem Roman von Jules Verne. Was also lag näher, als Borges die Leitung der Staatsbibliothek von Buenos Aires anzubieten, die er als »Bibliothek von Babel« beschrieben und aus ihrer zeitlichen Gebundenheit befreit hatte? Kaum im Amt meldete sich ein altes vererbtes Augenleiden und Borges erblindete. Ein blinder Bibliothekar? Als Vortragskünstler von hohen Graden war er ein Magier, der seine Texte scheinbar aus dem Nichts hervorholte. Als Bibliothekar, ich weiß nicht wie lange, verwaltete er seine Bücher, als genügte es, sie zu berühren, damit sie ihm Titel, Verfasser, Erscheinungsjahr zuraunten. Einst hatte er sie alle gelesen. Was brauchte es also mehr, um ein Gespräch mit ihnen zu führen und andere Leser einzubeziehen. Unter anderem Namen werden wir ihn später wiederfinden in Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose«.

Der Sinologe Kien in Elias Canettis einzigem Roman »Die Blendung« wird ganz und gar ein Opfer seiner Bücher - oder opfert er seine Bücher, um sich mit einem Schlag von seiner Haushälterin und von den in Massen sich türmenden Bänden zu befreien. Er weiß am Ende nicht, wohin mit ihnen. Fenster um Fenster in seiner Wohnung hat er bereits zugemauert, als wären die Bücher Ziegelsteine. Vor dem bitteren Ende, da die vertraute Welt vor dem Ersten Weltkrieg untergehen wird, legt er Feuer an seine Bücher, und geht mit ihnen unter. Dem Leser bleibt das Lachen im Halse stecken. Doch nicht lange. Er blättert zurück und erholt sich bei der absurden Komik des Romans. Canetti, kein Zweifel, kannte seinen Kafka und seinen Karl Krauss. Schade, dass der Nobelpreisträger des Jahres 1981 uns einen zweiten Roman vorenthalten hat.

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