Deutschlands gläserne Decke

»Die Frauenquote ist nicht zum Kuscheln da«, meint Familienministerin Manuela Schwesig

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 3 Min.
Frauen sind die Verlierer auf dem Arbeitsmarkt. Warum das so ist? Das wurde auf der 2. Gender-Studies-Tagung in Berlin diskutiert.

Die gläserne Decke ist an diesem Tag keine Metapher mehr, sondern Gestalt gewordene Realität. Rund wölbt sie sich über den Konferenzsaal der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und verschluckt all die aufgeregten, durchdachten und zukunftshoffenden Reden über Gender und Gleichberechtigung mit ihren großen Fenstern. »Gläserne Decke« ist eine beliebte Metapher, wenn es um Genderfragen geht. Dennoch lohnt sich eine Definition: Sie beschreibt, dass qualifizierte Frauen kaum in die Top-Positionen in Unternehmen oder Organisationen vordringen und spätestens auf der Ebene des mittleren Managements »hängen bleiben«.

»Wie wollen wir künftig arbeiten und wirtschaften? Woher kommt die Geschlechterdiskriminierung in unserer Gesellschaft und welche Auswirkungen hat sie?« Mit diesen Fragen beschäftigt sich die 2. Gender Studies Tagung des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung am Donnerstag in Berlin.

Man stelle sich zwei Menschen vor: Der eine männlich, der andere weiblich. Sie absolvieren von Grund auf ähnliche Schulabschlüsse, studieren BWL erst im Bachelor, dann im Master, landen am Ende bei einer großen Bank. Doch irgendwo, dazwischen, in den Wirren der jahrhundertelang aufgeschütteten Geschlechtervorurteile, bleibt einer der beiden auf seinem Posten hängen. Verdient im Schnitt 22 Prozent weniger, als der des anderen Geschlechts. Hat im Schnitt etwa 33 000 Euro weniger Vermögen als der andere. Einer verdient im Schnitt 18,81 Euro, der andere 14,62 Euro. Keine Überraschung - die Person, die schlechter wegkommt, ist die Frau. Welchen Preis zahlen Gesellschaft und Ökonomie für das Festhalten an tradierten Strukturen und Geschlechterstereotypen, fragt deshalb die Gender-Tagung.

»Die Frauenquote ist nicht zum Kuscheln da«, sagt Familienministerin Manuela Schwesig, SPD, die gerne ein Familienarbeitszeitmodell einführen würde. Beide Partner würden etwa 30 bis 32 Stunden die Woche arbeiten und hätten so mehr Zeit für die Familie. Um einen Anreiz für das Modell zu schaffen, könnte man einen Ausgleich zum Nettoeinkommen zahlen. Das Modell wurde von der CDU bereits abgelehnt.

»Gender ist kein Ponyhof - Gender ist Arbeit«, fasst Elke Holst, Forschungsdirektorin der Gender Studies des DIW, die Tagung zusammen. Auch Männer leiden unter der Ungleichberechtigung und den veränderten Rollenerwartungen, meint Michael Meuser, der an der TU Dortmund zu männlichen Lebenslagen im Wandel der Geschlechter- und Erwerbsverhältnisse forscht. »Sind Männer nun etwa die Verlierer?«, lautet gar ein Aufschrei aus dem Publikum.

Die Studien zeigen: Die Gesellschaft will einen Kurswechsel in Richtung Gleichberechtigung. Warum sich nichts ändert, zeigt ein Blick auf die Gesetze. Die momentanen Anreize zur Aufteilung von Arbeitszeit und Hausarbeit, wie das Ehegattensplitting, die Mitversicherung in der Krankenkasse, das Betreuungsgeld, tragen nicht gerade dazu bei, etwas am Status Quo zu ändern. Ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern also hausgemacht?

Manuela Schwesig ist sich zumindest sicher, dass das neue Elterngeld Plus, das im Juli 2015 in Kraft treten soll, ein großer Erfolg wird: Dabei werden Eltern, die sich nach der Geburt eines Kindes für einen schnellen beruflichen Wiedereinstieg entscheiden, stärker finanziell gefördert als bisher. Zudem sollen Eltern belohnt werden, die sich die Erwerbs- und Erziehungsarbeit für mindestens vier Lebensmonate ihres Kindes gleichberechtigt teilen.

Ein wirklicher Erfolg? Vielleicht ein kleiner Knacks auf der gläsernen Decke. Viele auf der Tagung erhoffen sich, dass diese Decke zu bröckeln beginnt, sollten die großen DAX-dotierten Unternehmen endlich alle die 30 Prozent Frauenquote einführen.

»Übernehmen dann die Frauen die Macht?!«, ruft einer der Tagungsgäste erschrocken. Ja, so ist das mit der Macht: In einem ungerechten System gibt es Verlierer und Gewinner. Wenn sich zwei streiten, freut sich die Wirtschaft, die bis jetzt zu wenig tut, um die ungerechten Verhältnisse auszugleichen. Denn: 12 Frauen saßen 2013 in den Vorständen von DAX-Unternehmen, im Jahr 2008 war es eine. Ein voller Erfolg. Oder etwa nicht?

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