Hier wird nicht geheideggert!
Die Berliner Band Mutter hat ein neues Album veröffentlicht
Mit deutschsprachigen Texten ist es ja so eine Sache. Sieht man einmal von den mehr oder weniger verkappten völkischen Textdichtern ab (also allen zwischen Blitzkrieg, Frei.Wild und dem »Volks-Rock’n’Roller« und gesunden Heimatdenker Andreas Gabalier), die das Feld der Bierzelthocker, Hobbyrevanchisten und anderen armen Würstchen bedienen, bleiben zwei weitere Sorten Pop-Autoren übrig. Auf der einen Seite finden wir die Pseudointellektuellen, die unfreiwilligen Kitschiers und humorfernen Oberlehrer und Gymnasiastenlyriker. Sie greifen gern tief in den Melancholie-Eimer, geben sich gerne tiefsinnig, singen gern vom Wind, dem Wald und den Weiden oder vom Kampf und vom Schweiß, von Liebesquatsch oder den Befindlichkeiten und Selbstzweifeln heranwachsender oder alternder Männer. Nicht selten sind auch ein wenig geballte Faust oder eine Spur Sozialdemokratie und eine stattliche Portion protestantischer Muff beigemischt. Zuweilen heideggert es hie und da auch ein bisschen. Zu ihnen gehören die Grönemeyers, Jan Delays und Heinz-Rudolf-Kunzes und Bands wie Blumfeld oder Wir Sind Helden.
Auf der anderen Seite finden wir die vollsynthetische Konfektionswelt der Schlagersänger, die gar keinen Hehl daraus machen, dass ihre akustischen Hervorbringungen eine abgefeimte Mischung aus den abgegriffensten Bastei-Lübbe-Phrasen, Herzschmerzkäse, Faschings- und Pommesbudenhumor, Zoten und Schunkelware sind: Roland Kaiser, Helene Fischer oder Figuren wie Udo Lindenberg oder Campino von den Toten Hosen, die ihre Schlager als »Rock« kostümieren. Die dunklen Seiten des menschlichen Alltags werden zumeist sentimentalisiert und verkitscht oder bleiben in aller Regel ganz ausgespart: Hass, Einsamkeit, Krieg, das Altern, der Tod.
Nicht so bei der traditionsreichen Berliner Band Mutter, die eine Ästhetik des Zweifels und des Scheiterns kultiviert hat, der man hierzulande traditionell mit Unverständnis begegnet. Mutter »kommen der Wirklichkeit in der Wurstfabrik des Seins näher als jeder Electro-DJ dieser Welt«, wie es die »Berliner Zeitung« einmal formulierte. Bereits vor zwanzig Jahren lieferte die Gruppe unter Zuhilfenahme eiernder und leiernder Brummgitarren, zu deren Klang knappe, oft desillusionierende, um jedes falsche Pathos bereinigte Texte vorgetragen wurden, den endgültigen Kommentar zur deutsch-deutschen Wiedervereinigungshysterie (»Du bist nicht mein Bruder«, 1993). Nein, Mutter passt in keine der eingangs genannten Kategorien deutschsprachiger Poplyrik. Mutter ist anders. Und war vor allen anderen da. Wenigstens vor all jenen, die später dann unter dem hässlichen Begriff »Diskurspop« rubriziert oder »Hamburger Schule« genannt wurden. Jochen Distelmeyer, Mastermind der soeben aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums des Erscheinens ihres Albums »L’État Et Moi« tourenden und dergestalt ihren früheren Erfolg ausschlachtenden Popgruppe Blumfeld, hat über Mutter einmal etwas sehr Rührendes und gleichzeitig Wahres gesagt: »Später werden die Leute merken, hier, das hat kein Schwein wahrgenommen, das ist aber das Geilste gewesen.«
Mutter waren stets unberechenbar. Einmal erscheint von der Band ein Album mit Geschrei und brachialem Konzeptlärm, dann wieder eines, das irgendwie zerbrechlich klingt, mit akustischer Gitarre und putzig-naiven Balladen, und beim nächsten werden wir mit Rumpelrock oder Doom Metal konfrontiert. »Ich möchte alles sein / bloß nicht wie die anderen«, sang Max Müller, der Sänger der Gruppe, einmal. Man weiß nie so genau, was da auf einen zukommt. Was man weiß, ist, dass andere so etwas nicht können.
»Wir hätten uns als Band wahrscheinlich schon längst aufgelöst, wenn man wüsste, da gibt es coole Bands, da gibt es wirklich mal etwas anderes«, sagte mir Müller einmal vor einigen Jahren in einem Gespräch. »Ich finde, das gibt es zu wenig. Das Meiste ist so FDP-Rock.« Der Mann sagte damals überhaupt schöne Sätze: »Wir sind nicht Phil Collins.« Oder: »Wer uns bescheißt, ob das ein kleines Label oder ein großes ist, ist uns egal.« Oder: »Qualität hat nichts mit Erfolg zu tun, das verwechseln viele.«
»Text und Musik«, die neue Platte, fällt weniger schwergängig und hermetisch aus als die frühen Mutter-Alben. Die Produktion ist klar, klingt nicht so halbfertig wie auf früheren Veröffentlichungen. Oft dominiert ein federnder, dynamischer, transparenter Sound. Ein bisschen Yo La Tengo, ein bisschen Blumfeld. Beinahe ist man versucht, von sonnig-nachdenklichem Indie-Pop zu sprechen. Wäre da nicht das Lied »Wer hat schon Lust, so zu leben«, Müllers Kommentar zum derzeit in deutschen Städten grassierenden Antiziganismus: Darin heißt es über das Verhältnis von Deutschen zu Einwanderern aus Südosteuropa: »Egal, wie sehr wir hassen / Sie lachen und tun / Egal, wie sehr wir hassen / Nichts scheint sie zu rühren / Das Leben aus Autos, das Kochen im Frei’n / Romantik stellt sich bei diesen Bildern nicht ein / Kinder, die betteln und stehlen und schrei’n / Wir essen an Tischen und trinken den Wein (…) Wer hat schon Lust, zu leben wie sie leben, die wir hassen?« Mehr Fragen gibt es hier als Antworten. Auch herrscht eher Indifferenz als Gewissheit, eher Entzauberung als Geheimnis: »Am Abend gehen wir aus und sehen die anderen wie uns selbst«, singt Müller. Oder: »Was spricht schon dagegen, zu lassen, was ist / Was spricht schon dagegen, zu ändern, was es war?«
Seit 28 Jahren existiert die Combo jetzt, in wechselnder Besetzung zwar, aber mit zwei Konstanten: dem Schlagzeuger Florian Koerner von Gustorf und dem schmächtigen Sänger Max Müller, dessen musikalische Sozialisation mit der frühen Punk- und New-Wave-Ära an Geschwindigkeit aufnahm und der mittlerweile 50 Jahre alt ist. Rechnet man zu den 28 Jahren noch die mehrjährige Lebensdauer von Müllers vorherigen Bands (Die Honkas, Campingsex) hinzu, gibt es diese eigensinnige, angeschmutzte und alle Moden tapfer ignorierende Musik nun schon länger als die Grünen. Doch während jene zur zweiten FDP mutierten, entwickelten Mutter beharrlich ihr musikalisches Gegenmodell zum deutschen FDP-Rock der Gegenwart weiter.
Viel gelobt wurden in der Vergangenheit immer wieder Müllers »existenzialistische, mitunter schmerzhaft abgründige, nie auch nur ansatzweise ironischen Texte« (»Spex«). Über die soeben erschienene Mutter-Platte heißt es im »Spiegel«: Müller meide in seinen Texten erfreulicherweise jene »Manierismen« und »Metaphern«, die viel deutschsprachige Unterhaltungsmusik so unerträglich machen. Im selben Medium war vor einigen Jahren auch folgender Satz zu lesen: »Die Missachtung der Band Mutter gehört zu den größten Verbrechen der jüngeren Musikgeschichte.« Ja, bisweilen hat selbst der »Spiegel« Recht. Und manchmal hat der eine oder andere Satz aus den jüngsten überschwänglichen Rezensionen auch eine unfreiwillige Komik: Müller singe auf dem neuen Album »klare Sätze über die aktuelle Situation der Andersdenkenden in diesem Land«, schreibt etwa die Postille »Musik-Express« aus dem Hause Springer. Dort und in anderen Medien, selbst in der »Bild«-Zeitung, wird die unberechenbare Band heute gelobt, doch dafür können Müller und Koerner von Gustorf, die Mutter-Gründer, nichts. Ihre heutige Stellung als eine Art vom Kulturbetrieb hochgeschätzte und als äußerst einflussreich verehrte Anti-Rockband haben sich die Berliner durch viele Jahre eisernen Vorbeispielens an den Bedürfnissen eben dieses Kulturbetriebs und die gleichmütige Hinnahme kommerzieller Erfolglosigkeit hart erarbeitet. Wie schreibt der gegenwärtige Bachmann-Preisträger Tex Rubinowitz so treffend zu »Text und Musik«, dem mittlerweile zwölften Mutter-Album? »Ist die Platte aus, hat man Angst, sich an sie zu erinnern.« Sehr schön.
Mutter: Text und Musik. Clouds Hill / Rough Trade. Im Oktober und November sind Mutter auf Deutschland-Tornee; www.muttermusik.de
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