Süßstoff, Diabetes und Darmbakterien
Eine kürzlich publizierte Studie kommt zum Schluss, Zuckerersatz fördere selbst Diabetes. Ernährungsexperten kritisieren Mängel der Untersuchung an Mäusen.
Mit dem süßen Geschmack fängt es an: Schon die Muttermilch wird am enthaltenen Milchzucker erkannt, der Sinn für Süßes ist die erste Geschmacksrichtung, die ein Baby schmecken kann, und die Sinneszellen für Süßes sind ganz vorn auf unserer Zunge. Salzig, sauer und bitter kommen nicht nur auf der Zunge weiter hinten, diese Geschmacksrichtungen werden auch erst später in der kindlichen Entwicklung wahrgenommen. Kein Wunder also, wenn wir Zeit unseres Lebens eine besondere Vorliebe für Süßes behalten.
Als sich der Homo sapiens herausbildete, war die Neigung zum Süßen ganz vorteilhaft: So sind reife Früchte von den unter Umständen nicht so bekömmlichen unreifen zu unterscheiden. Und an süßen Sachen überfressen konnten sich die von der Jagd und gesammelten Früchten, Samen und Wurzeln lebenden Urmenschen auch nicht. Das Süßeste, was damals zu haben war - Wildbienenhonig - war rar und von den wehrhaften Insekten gut verteidigt.
Das alles änderte sich mit dem massenhaften Anbau von Zuckerrohr und -rüben in der Neuzeit. Heute verbraucht der durchschnittliche Deutsche 35 Kilogramm Zucker im Jahr. Ob die epidemische Zunahme von Diabetes des Typs II, bei dem sich im Körper eine Insulinresistenz herausbildet, vor allem auf den Zuckerkonsum oder auf die insgesamt zu üppige Ernährung in den Industrieländern zurückgeht, darüber wird schon seit Jahren gestritten.
Eine kürzlich im Fachjournal »Nature« (DOI: 10.1038/nature13793) erschienene Studie wirft nun ausgerechnet auf die Süßstoffe, die in sogenannten Diät- und Light-Lebensmitteln und Getränken den Zucker ersetzen, den Verdacht, ebenfalls das Diabetes-Risiko zu erhöhen. »Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Süßstoffe direkt dazu beigetragen haben, genau die Epidemie zu verschlimmern, die sie eigentlich bekämpfen sollten«, lautet das Resümee der Forscher um Eran Elinav vom israelischen Weizmann-Institut in Rehovot.
Die Forscher hatten Mäusen Wasser mit den drei häufig genutzten Süßstoffen Saccharin, Aspartam oder Sucralose zu trinken gegeben. Die Dosis entsprach den auf das Körpergewicht der Mäuse heruntergerechneten Maximalwerten, bei denen der Süßstoffkonsum bei Menschen gerade noch für unbedenklich gilt. Erstaunlicherweise entwickelten die Mäuse in den Tests daraufhin eine Glukose-Intoleranz - anders als die Mäuse, die nur Wasser oder mit Zucker gesüßtes Wasser bekommen hatten.
Bereits aus anderen Arbeiten ist bekannt, dass die Zusammensetzung der Darmflora - also jener Bakterien, die im Darm leben - an der Entstehung krankhafter Fettleibigkeit und Diabetes II beteiligt sein kann. Deshalb hatten die israelischen Forscher auch bei ihrem Experiment Veränderungen der Darmflora im Verdacht. Um ihre Annahme zu prüfen, behandelten sie einige der gesunden Mäuse mit Antibiotika, um deren ursprüngliche Darmflora zu zerstören. Danach wurden ihnen Exkremente der mit Süßstoff-Wasser gefütterten Mäusen gegeben, so dass ihr Darm mit den gleichen Mikroben besiedelt wurde. Und tatsächlich entwickelten die vordem gesunden Mäuse ebenfalls eine Glukose-Intoleranz.
Taylor Feehley und Cathryn R. Nagler von der University of Chicago beschreiben in einem Begleittext von »Nature« (DOI: 10.1038/nature13752) auch einen denkbaren Mechanismus, wie dieser Effekt entstehen könnte: Wenn wegen der Süßstoffe weniger Zucker in den Darm gelangt, könnten jene Mikroben Vorteile haben, die andere, für den Menschen unverdauliche Nahrungskomponenten aufspalten, so dass letztlich mehr Nährstoffe aus anderen Quellen ins Blut kämen.
Da es aus einer großen Ernährungsstudie in Israel Hinweise gab, dass auch Menschen mit höherem Süßstoffkonsum häufiger übergewichtig oder diabetisch sind, bezogen die Forscher sieben freiwillige Testpersonen, die normalerweise keinen Süßstoff zu sich nehmen, in ihr Versuchsprogramm ein: Diese konsumierten eine Woche lang die von der US-Lebensmittelbehörde FDA als Höchstwert zugelassene Süßstoffmenge. Tatsächlich erhöhten sich auch hier die Blutzucker-Werte und die Darmflora veränderte sich - allerdings nur bei vier der sieben Probanden.
Die geringe Zahl der Probanden ist denn auch einer der Haupteinwände gegen die Warnung der Autoren vor der Verwendung synthetischer Süßstoffe in Nahrungsmitteln und Getränken, den mehrere Wissenschaftler in einer Pressemitteilung des britischen »Science Media Centre« zu der »Nature«-Veröffentlichung geltend machen. Stephen O’Rahilly von der Universität Cambridge führt zudem gegen die von Elinavs Forschergruppe erwähnte Ernährungsstudie mit 381 Israelis eine aktuelle Untersuchung mit fast 400 000 Teilnehmern ins Feld. Diese habe keinerlei Zusammenhang zwischen dem Konsum von Getränken mit Süßstoffen und Diabetes gezeigt.
Auch Michael Blaut, der am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke die Forschung zu Mikroben im Verdauungstrakt leitet, meldet einige Zweifel an. Zum einen sei das generelle Urteil der Autoren über Zuckerersatzstoffe durch die in der Veröffentlichung angegebenen Daten keineswegs gedeckt. Eine signifikante Änderung sei darin nur für Saccharose belegt. Die Verallgemeinerung hält Blaut auch deshalb für problematisch, weil sich die Stoffe nur in einem Punkt ähneln: dem süßen Geschmack. Chemisch seien sie grundverschieden. Zudem habe man für die Studie die Süßstoffdosis so hoch gewählt, dass im realen Leben kaum ein Mensch solche Mengen aufnehmen würde.
Dagegen findet der Diabetesforscher Michael Roden von der Uni Düsseldorf die Ergebnisse sehr interessant und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie sieht sich in ihrer Position bestätigt, dass Süßstoffe kein geeignetes Mittel zur Gewichtsabnahme sind.
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