Privatnachlässe und Gruppengeschichte
Im Schwulen Museum wartet der DDR-Bestand auf Wissenschaftler
Mit dem Fahrstuhl geht es ein Stockwerk tiefer. Klimatisiert auf frische 18 Grad ist es hier, wo die archivalischen Schätze des Schwulen Museums liegen. Die ganze Etage ist zum imposanten Stauraum unterkellert. Auf Aluregalen stapelt sich, so weit das Auge reicht, was in jahrzehntelang eifriger Sammlertätigkeit zusammengetragen werden konnte.
Seit Januar 2013 gehört auch der DDR-Bestand dazu. Er mache, dämpft Jens Dobler, Leiter von Archiv und Bibliothek, ein an der TU promovierter Historiker, allzu große Erwartungen, nur gut fünf Prozent des Gesamtbestands aus. Erschlossen hat ihn Kristine Schmidt, Kulturwissenschaftlerin aus Göttingen. Für eineinhalb Jahre förderte die Bundesstiftung Aufarbeitung dieses Projekt mit insgesamt 30 000 Euro. Auf zwei Regale verteilt liegen in 20 Kartons, dort wiederum in Heftern, die sortierten Dokumente, brüchige Papiere in Pergamin-Hüllen, auch sie aus säurefreiem Material, katalogisiert und nummeriert fürs nächste Säkulum. Woraus besteht nun jener Bestand?
Einen Großteil machen, sagt Dobler, Einzelnachlässe aus, von verstorbenen und noch lebenden Personen, die von Berufs wegen, aus Interesse oder eigenem »Betroffensein« Unterlagen über ihr Leben und das Thema Homosexualität in der DDR aufbewahrt haben. Viele waren »Einzelkämpfer«, manche in den paar existierenden Arbeitsgemeinschaften organisiert, so wie der Dermatologe und Facharzt für Geschlechtskrankheiten Dieter Berner. Noch heute trifft sich jener kirchliche Arbeitskreis, dem er angehörte, regelmäßig in der Adventsgemeinde, fügt Kristine Schmidt an. Er ist eine der seltenen Konstanten, die sich in die Gegenwart herüberretten konnten.
Zu den 17 Einzelbeständen zählt auch, was der Dresdner Sexualwissenschaftler Rudolf Klimmer aus den Tiefen der 1950er hinterlassen, der Berliner Maskenbildner Heino Hilger beigesteuert hat. Zum Teilnachlass der Charlotte von Mahlsdorf gehören ein Kleid und Pumps, die sich aber auf Dauerleihe im DDR-Museum Eisenhüttenstadt befinden, zudem Briefe, Fotos und handschriftliche Dokumente mit realen, teils erfundenen Geschichten. Solche Schriftdokumente, hauptsächlich Fotos, aber auch einige Filme bilden den Grundstock der DDR-Sammlung, erläutert Dobler. Bemerkenswert findet er, dass es nicht bloß Arbeitskreise oppositionell Gesinnter gab, meist unterm Dach der evangelischen Kirche, sondern auch Gruppen aus Menschen, denen Sozialismus und Homosexualität vereinbar waren.
Als Beispiel hierfür steht die auf private Initiative 1973 formierte Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin HIB. Anlass für die Gründung war Rosa von Praunheims damals heftig diskutierter Film »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«, erzählt Dobler lächelnd, beweist es doch, dass zumindest die Gründer West-TV gesehen haben. Treff war später das Gründerzeitmuseum der Charlotte von Mahlsdorf. Die Feiern in der dort wiedererrichteten »Mulack-Ritze« hielt Bodo Amelang auf Super-8-Filmen fest, die in digitalisierter Form nun zugänglich sind.
Zur HIB gehörte auch »Hundetommy« Rita Thomas, benannt nach dem Hundesalon, den sie in Friedrichshain führte. Ansonsten, sagt Schmidt, sei die »Szene« in der DDR eher männerdominiert gewesen. Als Ausnahmen stehen Ursula Sillges »Sonntagsclub« aus den 1980ern, der Frauen von Beratung über Geselligkeit bis zum Vortrag vieles bot, und die Gruppe »Lesben in der Kirche« mit Sitz in der Gethsemane-Kirche.
Rege sei das Miteinander von Homosexuellen und Lesben allerdings nicht gewesen. Zu den späten Ausläufern zählen die im Februar 1989 formierte Arbeitsgemeinschaft Homosexualität »Courage«, ein kurzlebiger »Sonntagsclub«-Splitter mit großem Anteil an SED-Genossen, und die nach zweijährigem Bestehen aufgelöste AIDS-Hilfe der DDR, deren »Rückstand« gegenüber den zwei Kartons von »Courage« immerhin sieben Kartons füllt.
Was unterscheidet nun den DDR-Bestand vom Material aus der BRD der gleichen Zeit? Neben der Flut an Journalen, Publikationen, Gazettentexten der Altrepublik zum Thema sei aus der DDR erheblich weniger überliefert, sagt Dobler, weil das Leben im Osten geheimer, konspirativer lief. Die Stasi überwachte, aber duldete jene Gruppierungen, solange sie sich nicht republikweit ausdehnen wollten. All die akkurat gelagerten Unterlagen erwarten nun forschende Wissenschaftler ebenso wie neugierige Privatiers. Drei erste Arbeiten, meist zur Ost-West-Verbindung von Lesben und Schwulen, sind im Entstehen.
Schwules Museum, Lützowstr. 73, www.schwulesmuseum.de
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