EU muss Rolle der Vorreiterin spielen
Ulrike Lunacek über die Bedeutung der Frauen- und Geschlechterpolitik in der Europäischen Union und darüber hinaus
Bei knapp 25 Prozent liegt der Frauenanteil in europäischen Parlamenten - das Europäische Parlament liegt mit 37 Prozent im Spitzenfeld. Kann ich als Europaabgeordnete damit zufrieden sein, wenn ich weiß, dass der Frauenanteil in arabischen Staaten im Schnitt nur 16 Prozent beträgt? Kann ich mich also in der EU als Frauenpolitikerin zurücklehnen, nur weil es andernorts schlechter um Frauenrechte bestellt ist?
Die für diese Kolumne zuständige Redakteurin von »neues deutschland« hat mich zu diesem Gedankenexperiment eingeladen. Meine Antwort darauf lautet: Nein. Denn so wie Menschenrechte unteilbar sind, sind auch Frauenrechte universal und allgemein gültig. Und so wie ich von der EU aufgrund ihrer Selbstdefinition als Ort der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine Vorreiterinnen-Rolle bei Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, aber auch Ökologie und Nachhaltigkeit erwarte, so verlange ich von der EU auch eine Vorreiterinnen-Rolle bei der Durchsetzung von Frauenrechten und Emanzipation.
Dass wir bei der Durchsetzung dieser frauenpolitischen Agenda auch im Europaparlament hin und wieder Niederlagen einstecken müssen, ist mir bewusst. Die Ablehnung des »Estrela-Berichts« über sexuelle und reproduktive Gesundheit Ende vergangenen Jahres war eine solche Niederlage, ja mehr, sie war ein Schlag ins Gesicht für Frauenrechte. Der Bericht war nämlich keinesfalls, wie von ultrakonservativen Lobbys kolportiert, ein simpler Pro-Abtreibungs-Bericht, sondern er stellte das gesundheitliche Wohl von Frauen und Mädchen in den Vordergrund, zeigte seine Sorge über die Zunahme von Teenager-Schwangerschaften, forderte den Zugang zu sicherer Abtreibung und kritisierte, dass es in einigen EU-Mitgliedsländern diese Sicherheit noch nicht gibt. Trotz dieser selbstverständlichen Forderungen war es jedoch einer massiven Gegenkampagne mit ideologisch motivierten Falschinformationen gelungen, eine (sehr knappe) Mehrheit des Parlaments auf ihre Seite zu bringen.
Als Verhandlerin der Grünen für diesen Bericht, als Feministin und als lesbische Frau entfachen solche Rückschläge in mir den Kampfgeist: Ich, wir bleiben dran, werden weiter für die Durchsetzung einer Pro-Choice-Politik arbeiten, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte von Frauen und Mädchen in Europa - das schließt selbstverständlich lesbische Frauen ein - sowie auf allen Kontinenten vorantreibt.
Dieses negative Schlaglicht soll nicht den Gesamteindruck verdunkeln, den ich aus Perspektive des EU-Parlaments auf die Durchsetzung von Frauenrechten habe. In den über fünf Jahren meiner Arbeit in Brüssel und Straßburg habe ich das Parlament nämlich in entscheidenden Bereichen als wichtige Stimme für Frauenemanzipation erlebt. Das Parlament ist eine verbindliche und verlässliche Stimme für gesetzlich verpflichtende Quoten, genauso wie für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher und gleichwertiger Tätigkeit für führende Positionen in der Wirtschaft. Denn: Es gibt genügend »Quoten«-Männer, die aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit in hohen Positionen sind und nicht weil sie so gut sind. Das heißt, Frauen sollten keine Angst haben, als »Quotenfrauen« bezeichnet zu werden, sehr oft bringen wir höhere Qualifikationen, mehr Ausbildung und Engagement mit.
Bereits 2010 hat das EU-Parlament auch seine Position für einheitliche Mindeststandards beim Mutterschaftsurlaub verabschiedet. Sie werden jedoch noch immer von den Regierungen der Mitgliedsstaaten im Rat blockiert.
Zum diesjährigen Frauentag hat eine neue Studie der EU-Grundrechteagentur erneut auf das grassierende Menschheitsübel der Gewalt gegen Frauen in EU-Staaten hingewiesen. Bereits im Vorjahr hat das Parlament eine wegweisende Resolution zur »Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen« verabschiedet und ein europäisches Gesetz für den Kampf gegen Gewalt an Frauen gefordert.
All das zeigt: Wir, die EU, können enormen Einfluss auf die Gestaltung der politischen und gesellschaftlichen Beziehungen innerhalb der 28 Mitgliedsstaaten ausüben und weltweit Signalwirkung ausstrahlen. Wir, die EU, können entscheidende frauenpolitische Initiativen setzen. Und darum wird es auch weiterhin gehen: Nicht zufrieden sein, weil es andernorts schlechter um die Emanzipation und Frauenrechte bestellt ist, sondern richtungsweisende Beschlüsse fassen und Politiken vorantreiben, die Frauenrechte stärken.
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