Stolz und Lüge
Nils Schmid, SPD-Finanzminister in Baden-Württemberg, ist stolz: Stolz auf mehr als 150 Jahre SPD, stolz auf die schwarze Null im Haushalt von Baden-Württemberg, stolz, dass die grün-rote Landesregierung bis 2020 zusätzliche 1,7 Milliarden Euro für die Hochschulen bereitstellen möchte. Mit Pathos sprach er im November im Stuttgarter Landtag über die Regierungspläne zur zukünftigen Finanzierung der Hochschulen: »Wir können es uns nicht erlauben, auch nur einen jungen Menschen verloren zu geben.« Man könnte meinen, dass Bildung dem Jurist und Sozialdemokraten Schmid ein Herzensthema wäre.
Lisa Glasner glaubt dies nicht. Die Heidelberger Jura-Studentin engagiert sich im Bündnis »Ich brauch die QSM«, das der Baden-Württembergischen Landesregierung Heuchelei und versteckte Kürzungen in der Lehre vorwirft. »Die vermeintlich bessere Finanzausstattung der Hochschulen ist nichts als ein Taschenspielertrick«, kritisiert sie. »Mittel, die einst für Lehre und Lernen gedacht waren, werden künftig in Bauvorhaben und Leuchtturm-Forschung fließen. Die Studierenden haben davon nichts.«
Ob Schmids oder Glasners Einschätzung stimmt, erscheint auf den ersten Blick unklar. Während sich die Landesregierung auf die steigende Gesamtsumme an für die Hochschulen verfügbaren Mitteln konzentriert, verweist das Bündnis auf die Abschaffung der Qualitätssicherungsmittel (QSM). Dies sind Ersatz-Mittel, welche die grün-rote Landesregierung bei der Abschaffung der Studiengebühren den Studierenden zum Erhalt der Qualität in der Lehre zur Verfügung stellte. Ihre Besonderheiten: erstens wird über ihre Verwendung demokratisch in paritätisch von Studierenden, DozentInnen und ProfessorInnen besetzten Gremien bestimmt, zweitens dürfen die Mittel nur in Projekte zur Verbesserung der Lehre fließen. Das Ziel des Bündnisses ist der Erhalt der QSM und die bessere Grundfinanzierung der Hochschulen – der Status Quo plus.
Bittere Aussichten für kleine Institute
Gerade für die kleineren, zu den klassischen Orchideenfächern gehörenden Institute sind diese QSM eine unverzichtbare Finanzierungsquelle. Das Institut für Religionswissenschaften der Uni Heidelberg ist eines dieser kleineren Institute. Das Fach beschäftigt sich allgemein mit Geschichte und Gegenwart aller Religionen ohne dabei für eine Religion Partei zu ergreifen. Statt nach religiöser Wahrheit wie in der Theologie wird nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion gefragt.
Am Heidelberger Institut wird sich etwa mit Religionen im Internet auseinandergesetzt. Gerade in Zeiten, in denen sich junge Muslime mit häufig prekären Lebensaussichten über das Internet für einen militanten Salafismus begeistern, um dann im Nahen Osten für den IS zu kämpfen, zeigt sich die Relevanz einer solchen Forschung. Doch ohne den Erhalt der Qualitätssicherungsmittel – so erklären es die DozentInnen ihren Studierenden – kann man das Institut dicht machen. Alle Tutorien sowie die Seminare von einfachen Lehrbeauftragten ohne Doktor- oder Professorentitel werden am Institut durch die QSM finanziert. Für das Institut ist der Erhalt dieser Finanzmittel existenziell.
Ein für das Institut für Religionswissenschaft bitterer Fakt ist, dass die QSM von derzeit jährlich 170 Millionen für alle Hochschulen in Baden-Württemberg auf 20 Millionen gekürzt werden sollen. Über den Rest kann zukünftig die Universitätsleitung zentral frei verfügen. Doch bei einer zentralen Verteilung der Gelder werden kleine Orchideeninstitute wie das Institut für Religionswissenschaft wahrscheinlich leer ausgehen. Zudem wird zukünftig nur noch über einen Bruchteil der Gelder demokratisch entschieden. Die Landesregierung nennt diesen Entzug von Geldern aus demokratischer Mitbestimmung »Veredelung«.
Doch wie passt es da zusammen, dass Schmid behauptet, es würden gleichzeitig zusätzlich 1,7 Milliarden bis 2020 für die Hochschulen bereitgestellt? Die große Befürchtung der Studierenden ist, dass die 1,7 Milliarden nicht in der Lehre ankommen. Dröselt man die 1,7 Milliarden auf, stellt man fest, dass davon zunächst 600 Millionen aus einem Bausonderprogramm stammen, mit dem der massive Sanierungsstau an Baden-Württembergs Hochschulen beseitigt werden soll. Scheinbar bleiben dann noch 1,1 Milliarden, über welche die Hochschulen frei verfügen können und die zumindest potentiell zusätzlich in die Lehre fließen. Doch auch diese Analyse ist zu kurz gegriffen.
Der Bund hilft indirekt bei der Finanzierung
Im Mai einigten sich Finanzminister von Bund und Ländern darauf, dass der Bund ab dem Wintersemester die Finanzierung des BAföG komplett übernimmt. Für die Länder – so auch für Baden-Württemberg – wurden damit mehrere Millionen im Haushalt frei, die sie zuvor für BAföG ausgeben mussten. Von den eingesparten Geldern werden 360 Millionen schließlich für die vermeintlich neu in die Hand genommenen 1,1 Milliarden verwendet. Rechnet man diese heraus, bleiben noch 731 Millionen Euro. Von diesen 731 Millionen stammen wiederum 164 Millionen Euro aus einem eigentlich auslaufenden aber nun doch verlängerten Sonderhochschulfinanzierungsprogramm. Von neuen Geldern kann also auch hier nicht die Rede sein. Übrig bleiben 564 Millionen Euro, die jedoch auch nicht den Hochschulen zur freien Verfügung stehen, sondern zur Finanzierung der durch Tariferhöhungen bedingten Gehaltsteigerungen der Hochschulbeschäftigten verwendet werden.
Zusätzliches Geld, das mit Sicherheit den Studierenden zu gute kommen wird, gibt es damit tatsächlich nicht. Vom Sonderbauprogramm können sie nur sehr indirekt profitieren. Die 360 Millionen, die durch die BAföG-Finanzierung durch die Länder frei werden, könnten zwar abhängig von der Entscheidung der Hochschulleitungen in die Lehre fließen, doch Lisa Glasner glaubt auch dies nicht: »Die Rektoren in Baden-Württemberg orientieren sich noch immer am neoliberalen Leitbild der unternehmerischen Hochschule. Drittmittel sollen mit Prestige-Forschung akquiriert werden, um dann Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher anzuwerben. Die Studierenden sind in dieser Strategie nichts als ein lästiges Übel.«
Bildungsstreik im Ländle?
In den letzten zwei Monaten hat das Bündnis »Ich brauch die QSM« mit einer Medien-Kampagne bereits für Aufmerksamkeit an der Uni Heidelberg und unter hochschulpolitisch Aktiven in Baden-Württemberg gesorgt. Der Studierendenrat der Uni Heidelberg unterstützt das noch junge Bündnis und mit einer Petition zum Erhalt der QSM konnten sie bereits über 3000 Unterschriften sammeln. Lisa Glasner, die sich auch im Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (Die Linke.SDS) engagiert, glaubt aber, dass die Ziele des Bündnisses nur erreicht werden, wenn die Studierenden zu weitergehenden Mitteln als bisher greifen: »Die Aussicht, dass einige Universitäts-Bibliotheken bald schon um 17:00 Uhr schließen, dass das Seminarangebot noch eingeschränkter wird als bisher und dass ganze Institute schließen müssen, sollten für die Studierenden Motivation genug sein, ihren Unmut auf die Straße zu tragen.«
Alexander Hummel studiert im Master Soziologie an der Universität Heidelberg und gibt dort für die Einführungsvorlesung begleitende Tutorien. Die Tutorien werden aus Qualitätssicherungsmitteln finanziert. Er ist aktiv in Die Linke.SDS.
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