Bären im Brachland

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Montag war es endlich so weit: Pegida hat endlich mal etwas Konstruktives geleistet. Als es die Absage der vorigen Montagsdemo aus Sicherheitsgründen zu verkünden galt, wandte man sich dafür ausgerechnet an die verhasste »Lügenpresse« und sorgte so fürs Wort des Jahres 2015: Lügenpressekonferenz. Und mit diesem Sprachwitz geht es zurück auf den Boden der Tatsachen, auf dem die Presse nach der jüngsten Welle der Solidarität wieder landet.

Zahllose (oft aufrichtig) Betroffene haben sich auch hierzulande die Notausgabe des Satireblatts »Charlie Hebdo« aufs Klo gelegt - nun darf die Branche wieder schön den Bach runtergehen und durch chronische Nichtbeachtung der Umsonstgesellschaft in den Ruin getrieben werden. Beim Blick auf die Verkaufszahlen deutscher Magazine jedenfalls ergibt sich abermals ein düsteres Bild. Besonders jene, die willens und in der Lage sind, über den Terror und seine Folgen seriös zu berichten, verlieren stark an Auflage, während Ballermannmedien gerade im Netz florieren und das »Dschungelcamp« trotz gähnender Langeweile weiter Topquoten erzielt.

Zum Glück steht wenigstens der öffentlich-rechtliche Bildschirm diese Woche im Zeichen der Seriosität. Die Privatsender interessieren sich wie üblich einen feuchten Kehricht für den 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, weshalb selbst ihre, äh, »Nachrichtenkanäle«, N24 und n-tv, am 27. Januar lieber Fallschirmjäger oder Relikt-Jäger porträtieren als an das Menschheitsverbrechen zu erinnern. Die gebührenfinanzierte Konkurrenz hingegen gibt sich Mühe, dem Datum gerecht zu werden. Einigermaßen. Denn während die umfassende Berichterstattung bei Phoenix, Arte oder im WDR stattfindet, der am 27. Januar ab 23.15 Uhr eine »Lange Nacht der Erinnerung« zeigt, lässt die ARD tags zuvor erst mal Bärenbabys schmusen, bevor um 22.45 Uhr »Ich fahre nach Auschwitz« beginnt, eine aufwühlende Reise Hamburger Polizei-Azubis und Schüler ins Herz der Finsternis. Und das ZDF? Das zeigt am Dienstag (27.1.) - nach dem Produkttest »Wie gut ist unser Bier?«, versteht sich - eine sehenswerte Dokumentation zum Thema, delegiert sein Gedenken aber doch lieber ins Netz oder an den Sender 3sat, der den Themenabend am Vortag mit »Der Spion vom Pariser Platz« einleitet, einer Dokumentation über die Ursprünge der Vergasung.

Bei all der Tristesse könnte man glatt vergessen, dass auch gelacht werden darf. Zum Beispiel in der »Kabarett-WG«, mit der die ARD ab Donnerstag (29.1.) den seligen »Scheibenwischer« ersetzen will. Um 22.45 Uhr blasen Sebastian Pufpaff, Maike Kühl und Hannes Ringlstetter hoffentlich etwas frischen Wind übers Brachland politischer Unterhaltung, das die ARD hinterlassen hat. Ein Wind, den sich das Erste auch von der Vorabendserie »Unter Gaunern« erhofft, die fortan dienstags um 18.50 Uhr eine Familie Kleinkrimineller zu Komödianten macht, die allerdings dann am lustigsten sind, wenn es ernst gemeint war - und umgekehrt. Der Schmunzelkrimi ist vor allem eines: zum Heulen.

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