Wie mit dem Fahrstuhl
Autonome Fahrzeuge werden den Straßenverkehr grundlegend verändern, aber nicht von heute auf morgen
Autonome Fahrzeuge sind schon seit Langem selbstverständlich - solange es auf und ab geht: Die Fahrtziele geben die Passagiere per Tastendruck ein, dann setzt sich das Gerät von selbst in Bewegung. Beim Erreichen einer Station ertönt ein akustisches Zeichen, die Kabine wird sanft abgebremst, die Türen öffnen sich. Einige steigen aus, andere steigen ein. Und weiter geht’s zur nächsten Etage. Man muss wohl über 50 Jahre alt sein, um sich noch an Fahrstuhlführer zu erinnern, die in Kaufhäusern die Aufzüge bedienten und über das Angebot auf den verschiedenen Stockwerken informierten. In noch einmal 50 Jahren dürften menschliche Fahrer nun auch im horizontalen Verkehr ein seltener Anblick werden.
Bei Fahrzeugen, die durch Schienen auf Kurs gehalten werden, hat die Entvölkerung der Fahrerkabinen bereits begonnen. An vielen Flughäfen pendeln solche Bahnen wie Horizontallifte zwischen den Terminals hin und her. Auch auf einigen U-Bahnlinien, etwa der U2 und U3 in Nürnberg, sitzt vorne kein Mensch mehr drin.
Die Wagen bewegen sich allerdings in einem genau definierten Wegenetz, zentral gesteuert und überwacht. So sind für die fahrerlosen U-Bahnen in Nürnberg drei Verkehrsmeister zuständig, jeder an einem Arbeitsplatz mit zehn Bildschirmen. Mögliche Hindernisse und Störungen werden mit den auf der Strecke verteilten Kameras und Sensoren rasch erkannt. Die Wagen selbst verfügen lediglich vorne und hinten über zusätzliche Hindernisdetektoren und sind mit Systemen zur Entgleisungserkennung ausgestattet. Auf diese Weise wird die U-Bahn zu einer Art horizontalem Paternoster.
Das Fahrstuhlprinzip auf den Straßenverkehr zu übertragen, ist deutlich schwieriger. Denn bei frei beweglichen Fahrzeugen erhöht sich zum einen schlagartig das, was die Ingenieure Freiheitsgrade nennen: Es geht nicht nur vorwärts oder zurück, vielmehr sind Bewegungen in verschiedenste Richtungen möglich. Zum anderen gibt es keine zentrale Kontrolle. Auf der Straße müssen autonome Fahrzeuge ihre Umgebung stets selbst im Blick haben, einfache Hindernisdetektoren reichen nicht aus.
Der BMW 525i etwa, mit dem der bayrische Autohersteller derzeit das autonome Fahren testet, hat zusätzlich zur Serienausstattung zwölf weitere Sensoren an Bord, die die Umgebung des Fahrzeugs ständig überwachen. Radar schaut vorne und hinten in die Ferne, Laserscanner tasten die nähere Umgebung mit höherer Auflösung ab, Ultraschallsensoren helfen bei Manövern auf ganz engem Raum, etwa beim Einparken. Zwei GPS-Antennen ermöglichen außerdem eine genaue Positionsbestimmung mithilfe von Navigationssatelliten. Andere autonome Testfahrzeuge sind ähnlich ausgestattet.
Die Sensorik allein nützt indessen noch nicht viel, sondern bereitet zunächst einmal zusätzlich Probleme. »Die Sensoren unseres Fahrzeugs erzeugen pro Sekunde 80 Megabyte an Daten«, sagt Hans-Joachim Wünsche, der an der Universität der Bundeswehr München zu dem Thema forscht. »Die müssen auf wenige hundert Byte heruntergebrochen werden, um die Bewegungen von Gas, Bremse und Lenkrad zu regeln.« Wenn mehrere Sensoren zum Einsatz kommen, müssen zudem deren Daten abgeglichen werden. Bei widersprüchlichen Daten muss das System dann selbstständig entscheiden, welchem Sensor es trauen soll - und zwar innerhalb weniger Millisekunden.
Die dafür verwendeten Schätzverfahren und Wahrscheinlichkeitsabwägungen machen den eigentlichen Kern des autonomen Fahrens aus. Dabei erstellt und aktualisiert der Fahrzeugcomputer ständig ein internes Modell von der Umgebung, leitet daraus die als nächstes erwarteten Sensordaten ab und korrigiert bei Abweichungen gegebenenfalls das Modell. Das Münchner Versuchsfahrzeug MuCAR-3 findet sich auf diese Weise sogar im Wald und auf holprigen Feldwegen zurecht, wie Wünsche und sein Team beim Roboterwettbewerb Elrob (European Land-robot Trial) mehrfach unter Beweis stellten.
Fahrzeuge wie MuCAR-3 markieren allerdings die Speerspitze der Forschung. Es geht weniger darum, möglichst bald ein marktreifes Produkt zu entwickeln, sondern um Grundlagen der Wahrnehmung: Ziel ist es, ein Fahrzeug mit der gleichen sensorischen Ausstattung wie ein Mensch zu steuern, also hauptsächlich mit den Augen.
Für den Alltagsverkehr ist so viel Intelligenz an Bord gar nicht nötig. Hier können sich Autos nicht nur auf zusätzliche Sensoren, sondern auch auf Hilfe von außen stützen. So nutzte das Forschungsfahrzeug »S 500 Intelligent Drive«, das Daimler im Vorfeld der Internationalen Automobil-Ausstellung 2013 auf die vor 125 Jahren von Bertha Benz gefahrene Strecke von Mannheim nach Pforzheim schickte, natürlich die Signale von GPS-Satelliten zur Bestimmung der eigenen Position. Außerdem konnte es die Sensordaten mit digitalen Umgebungskarten abgleichen, die im Verlauf eines eineinhalbjährigen Trainings erstellt worden waren.
Als ihm jedoch ein Rettungswagen im Einsatz entgegen kam, war der »S 500 Intelligent Drive« überfordert - und blieb einfach stehen. »Ein Mensch weiß, dass man in so einer Situation auf den Seitenstreifen fährt, um Platz zu machen«, sagt Wünsche. »Es gibt einfach immer noch zu viele Situationen, auf die ein autonomes Fahrzeug nicht reagieren kann.«
Autonome Fahrzeuge und autonome Fahrfunktionen werden daher zunächst dort zum Einsatz kommen, wo die Verhältnisse möglichst strukturiert und überschaubar sind: auf Autobahnen, ohne Gegenverkehr, ohne scharfe Kurven, ohne Ampeln. Den Autopiloten für die Autobahn erwartet Raúl Rojas, Informatikprofessor an der FU Berlin, denn auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren. »Um 2020 herum werden autonome Fahrzeuge auch im großen Stil auf privatem Gelände fahren, etwa auf Flughäfen oder Firmengrundstücken«, schätzt er. Bis sie sich im Stadtverkehr durchsetzten, könne es allerdings noch 30 bis 40 Jahre dauern.
Es ist jedoch nicht die Intelligenz der Fahrzeuge allein, die den Straßenverkehr verändert, sondern ebenso die zunehmenden Kommunikationsfähigkeiten. In den USA ist geplant, den Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen auf den Highways bereits ab 2017 verbindlich einzuführen. Das Hauptmotiv für diese sogenannte Car-to-Car-Communication ist die Erhöhung der Sicherheit: Vor einem Stau oder einem anderen Hindernis könnten die nachfolgenden Autos dann frühzeitig gewarnt werden. Auch jede Vollbremsung wäre sogleich mit einer Warnung verbunden. Zugleich lassen sich riskante Manöver wie Einfädeln und Spurwechsel sehr viel entspannter durchführen.
»Wenn heute unser Fahrzeug auf der Autobahn autonom die Spur wechseln will, klappt das häufig nicht«, sagte Rojas der Zeitschrift »brand eins«. »Die Berliner Autofahrer machen nicht einfach Platz, man muss sich schon in die Lücken hineindrängeln. Dafür ist das Fahrzeug aber nicht aggressiv genug und verpasst daher oft die Ausfahrt. Wenn es dem Nachbarfahrzeug seinen Wunsch mitteilen könnte, könnte dieses die Geschwindigkeit automatisch leicht reduzieren und so die Lücke öffnen.« Rojas sieht angesichts solcher Eingriffe in die Fahrzeugbedienung keine Akzeptanzprobleme. »Ich bin überzeugt, dass die menschlichen Fahrer das oft gar nicht bemerken würden, sondern wahrscheinlich annehmen, sie selbst seien so höflich. Nach und nach könnten Menschen sich aber über solche und ähnliche Manöver daran gewöhnen, dass das Fahrzeug eigenständig einfache Entscheidungen trifft und dadurch die Sicherheit erhöht.«
Mithilfe von Computer- und Kommunikationstechnik kann der Straßenverkehr aber nicht nur sicherer werden, sondern auch deutlich flüssiger und effizienter. So kam ein amerikanisch-italienisches Forscherteam, das die 150 Millionen Taxifahrten des Jahres 2011 in Manhattan untersuchte, zu dem Ergebnis, dass sich die Anzahl der Fahrten um 40 Prozent hätte verringern lassen - wenn jedes Taxi noch einen zweiten Fahrgast mitgenommen und sich die Gesamtfahrtdauer dadurch um maximal fünf Minuten verlängert hätte. »Das ist einzig und allein eine Frage der Organisation«, so Rojas. »Dafür ist keine neue Technologie erforderlich, sondern lediglich der Wille, es zu tun.«
Rojas schätzt, dass sich mithilfe einer Flotte autonomer Sammeltaxis, deren Fahrtrouten zentral koordiniert und optimal auf den übrigen öffentlichen Verkehr abgestimmt würden, die Zahl der benötigten Fahrzeuge in Berlin auf etwa ein Viertel reduzieren ließe. »Autonome Fahrzeuge bieten eine Chance, ein für allemal das Problem der Mobilität in den Städten zu lösen und die Blechlawine, die dort ständig herumsteht, abzuschaffen«, sagt er. »Die Straßen könnten wieder frei sein wie einst im 19. Jahrhundert.« Dabei ist Rojas mit seiner Schätzung noch zurückhaltend. Es kursieren auch Zahlen, wonach sich die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen mit einem Prozent der heute vorhandenen Autos effizienter befriedigen ließen.
In gewisser Weise schließt sich damit der Kreis: Der Straßenverkehr gleicht sich mehr und mehr dem Prinzip der U-Bahn an, die Autos werden geleitet durch ein virtuelles Schienennetz, bei dem die Weichen entsprechend den Wünschen der Fahrgäste gestellt werden. Der Verkehr kann kontinuierlich fließen und in der gleichen Zeit mehr Menschen schneller ans Ziel bringen, als wenn jeder mit seinem eigenen Fahrzeug durchzukommen versucht. Auch die Umstellung der U-Bahn in Nürnberg auf automatischen Betrieb war dadurch motiviert, dass auf andere Weise die Zugfolge nicht hätte erhöht werden können.
Für Autohersteller sind das keine guten Nachrichten. Ihnen stehen schwierige Jahre bevor. Das Geschäftsmodell, möglichst viele Fahrzeuge zu verkaufen, trägt nicht mehr. Nun gilt es, sich zum Anbieter von Mobilitätslösungen zu wandeln, der es den Kunden ermöglicht, sich wie mit einem Fahrstuhl durch Stadt und Land zu bewegen. Nicht allen wird das gelingen. Welche Markennamen sich mit neuem Inhalt füllen, welche auf der Strecke bleiben werden - das sind Fragen, die in den kommenden Jahren noch für viel Aufregung sorgen werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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