Die Wirtschaft kauft sich ein
Auf der Internetseite »hochschulwatch.de« kann man recherchieren, welcher Konzern wie an welcher Uni engagiert ist. Von Guido Speckmann
Es ist das am häufigsten genannte Beispiel: An der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS) müssen sich die Studierenden Vorlesungen in einem Hörsaal anhören, der nicht nur den Namen »Aldi-Süd« trägt, sondern vor dessen Eingängen auch unübersehbar das Logo des Lebensmittel-Discounters prangt. Die Fachhochschule lässt sich elf weitere Hörsäle von Firmen sponsern. So von Bosch, Brose, den Fränkischen Rohrwerken, Schaeffler und von der Sparkasse. Auf der Homepage heißt es dazu: »Als Gegenleistung räumt die FHWS den Sponsoren die Möglichkeit ein, als Partner zu fungieren, imagebildende Maßnahmen im Umfeld der FHWS wahrzunehmen und gewährt entsprechende werbliche Gegenleistungen.« Die FH Würzburg-Schweinfurt ist kein Einzelfall. Auch an anderen Hochschulen kommt es zum Verkauf der Namensrechte.
So wundert es nicht, dass Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International Deutschland, ihr Unbehagen darüber äußert, dass sich die Hochschulen Deutschlands in Werbeflächen verwandeln. Doch das ist nur der sichtbarste Ausdruck eines Prozesses, der viel tiefer greift. »Wir beobachten, dass zunehmend die Verwertungsinteressen der Wirtschaft die Lehre und auch die Forschung weitgehend bestimmen«, brachte Müller diesen auf den Punkt. Sie stellte am Dienstag in Berlin die Überarbeitung der von Transparency International und »taz« betriebenen Homepage »hochschulwatch.de« vor. Die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre, das alte Humboldt’sche Bildungsideal, würde hingegen ins Hintertreffen geraten.
Die von dem Rechercheteam von »hochschulwatch.de« aus frei verfügbaren Quellen sowie aus Anfragen zusammengetragenen Zahlen - insgesamt mehr als 9000 Datensätze - verdeutlichen das Ausmaß des zunehmenden Einflusses der Wirtschaft durch sogenannte Drittmittel. Gut 1,3 Milliarden Euro fließen derzeit pro Jahr aus der Wirtschaft an die Unis. Das ist eine Verdoppelung binnen zehn Jahren. Insgesamt ist die Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln gestiegen. 1990 warben deutsche Hochschulen 1,5 Milliarden Euro Drittmittel ein. 2001 hatte sich dieser Betrag verdoppelt und 2012 lag er bei 6,7 Milliarden Euro. Neuere Zahlen sind noch nicht bekannt. Etwa 20 Prozent der Drittmittel stammen von in der Regel größeren Konzernen, der Rest wird von staatlichen Stellen oder von der von Bund und Ländern finanzierten Deutschen Forschungsgemeinschaft bereitgestellt. 44 Prozent der gewerblichen Drittmittel werden laut »hochschulwatch.de« für Forschungsaufträge ausgegeben. Etwa ein Viertel fließt in Forschungskooperationen und neun Prozent werden in Stiftungsprofessuren investiert. Von diesen gibt es derzeit rund 1000.
Was ist daran problematisch? Isabella Albert vom freien zusammenschluss der studentInnenschaften (fzs) sagt: »Hochschulen werden immer weiter zu Produzenten von Arbeitskräften degradiert.« Und Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, warnt anlässlich der Präsentation der überarbeiteten Internetseite vor einem »Ausverkauf« an den Unis: »Immer mehr Stiftungslehrstühle, immer mehr Auftragsforschung - private Unternehmen versuchen, einen immer stärkeren Einfluss auf staatliche Universitäten und Fachhochschulen zu nehmen.«
Zwei Beispiele: 2006 wurde ein Kooperationsvertrag zwischen der Deutschen Bank und der Humboldt Universität sowie der Technischen Universität über die Gründung eines Instituts für Angewandte Finanzmathematik geschlossen. In ihm behielt sich die Bank Mitsprache in der Lehrkonzeption, Lehraufträge für Bankmitarbeiter, das Vetorecht bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sowie Werberechte an den Unis vor. 2011 wurde der Vertrag publik. Die Absprache zwischen der Uni Köln und Bayer- Healthcare ist dagegen nach wie vor geheim - wie viele andere auch. Seit 2008 besteht ein Vertrag über die Förderung im Bereich der Krebsforschung und die Förderung von Doktoranden. Beide Seiten verweigern bis heute, weitere Informationen über den Inhalt der Absprache zu veröffentlichen.
Die Befürworter solcher Drittmittelprojekte bemühen zur Verteidigung das Wettbewerbsargument. Zur Forderung von »hochschulwatch.de«, die Verträge über Drittmittelprojekte generell öffentlich zu machen, sagt der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, gegenüber dpa: »Das geht an der Wirklichkeit vorbei.« Denn dann seien Entwicklungsideen »frühzeitig öffentlich und damit für das Unternehmen im Wettbewerb verbrannt«. Auch folgendes Argument könnte man zur Verteidigung von Geld aus der Wirtschaft anführen. Was kann man zum Beispiel dagegen haben, wenn ein Windkraftunternehmen sich mit Geld an einer Uni »einkauft«, um die Forschung im Bereich erneuerbare Energien voranzubringen? Gib es nicht gute und schlechte Drittmittel? Studierendenvertreterin Albert hat dazu eine klare Meinung: Diesen Unterschied gebe es nicht. »Grundsätzlich bringen Drittmittel Universitäten in Konkurrenz zueinander«, kritisiert sie. Zudem würden Stiftungsprofessuren in der Regel nur fünf bis zehn Jahre von den Stiftern finanziert. Danach würden 65 Prozent aller Stiftungsprofessuren in den Haushalt der Hochschule übernommen, »wobei freie Stellen und Umschichtungen innerhalb der Fakultäten Voraussetzung sind«, heißt es auf »hochschulwatch.de«. Müller betont, dass es ihr nicht um eine Unterscheidung zwischen »gutem« und »schlechtem« Hochschul-engagement von Wirtschaftsunternehmen gehe. Auch das Engagement der Windkraftbranche an der Fachhochschule Flensburg durch Stiftungsprofessuren sieht sie deshalb kritisch.
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