Im Wüstensande verlaufen

Weder Korruption noch Menschenrechte - Proteste gegen FIFA und Winter-WM in Katar wegen Einnahmeverlusten

Wer mir folgt, gewinnt. Das Prinzip von FIFA-Präsident Joseph Blatter funktioniert bestens - und wird auch die Verlegung der WM 2022 in den Winter überstehen.

»Meine Zeit im Sport ist zu Ende«, hat Theo Zwanziger gesagt. Nein, der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat nicht aus Verzweiflung über die Verlegung der WM 2022 in den Winter seinen Sitz im elitären Exekutivkomitee des Weltverbandes FIFA geräumt. Hätte ja sein können. Denn für den Juristen aus dem rheinland-pfälzischen Altendiez war die Vergabe des Turniers im Dezember 2010 an Katar schon immer »einer der größten Fehler, die es jemals im Sport gegeben hat«.

Seinen Abschied vom Sport hat Zwanziger im November 2012 formuliert. Als Erkenntnis eines anderthalbjährigen Lernprozesses? Vollmundig hatte er 2011 noch Einzug ins Exekutivkomitee gehalten: Er wolle den Weltverband reformieren. Das Bild eines sich erneuernden und sauberen Verbandes versucht die FIFA beharrlich der Öffentlichkeit vorzutäuschen: Mit Ethik- und etlichen anderen Kommissionen, die aber weder unabhängig noch die Kernprobleme ermitteln, oder dem Ausschluss unliebsamer Mitglieder, die entweder Bauernopfer oder Gegner von Präsident Joseph Blatter sind.

Theo Zwanziger hat all das sehr schnell begriffen - und als Mitglied des inneren Führungszirkels verinnerlicht: »Die FIFA ist eine sehr beachtenswerte Organisation auch im gesellschaftlichen Bereich.« Meint er damit vielleicht die lächerlichen Forderungen des Weltverbandes an Katar? Schon vor der Vergabe der WM 2022 an das Emirat war bekannt, dass dort Gastarbeiter aus Indien, Nepal oder Pakistan unter »sklavenähnlichen Bedingungen« schuften müssen, wie Gewerkschaftsverbände und Menschenrechtsorganisationen nicht müde werden zu betonen. Der Tod von Hunderten Gastarbeitern ist belegt. Die erste offizielle Forderung der FIFA an ihren WM-Gastgeber, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, kam im Januar 2014. Katar gelobte Besserung. Es blieb bei leeren Versprechungen. Druck vom Weltverband kam in keiner Form. Er sah sich dazu auch nicht genötigt, die Empörungswelle ebbte schnell wieder ab, die Vorwürfe an Katar verliefen sich im Wüstensande.

In den Fokus der Weltöffentlichkeit ist das Thema erst wieder am vergangenen Dienstag gerückt - nach der viel kritisierten Entscheidung, die WM 2022 von November bis Dezember spielen zu lassen. So musste FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke einen Tag später einräumen: »Es ist klar, dass es Probleme gibt und Dinge gelöst werden müssen.« Dass Katar nun beginnen wolle, sich an internationale Standards zu halten, bewertete er aber als »großen Schritt«. Im Emirat wird beispielsweise an einem Gesetz gearbeitet, dass festschreiben soll, dass Arbeiter mindestens einmal im Monat bezahlt werden müssen. Wann das Gesetz endgültig erarbeitet, um dann später irgendwann mal in Kraft treten zu können, darüber gibt es leider keine Informationen.

Noch im September 2013 versuchte sich der Weltverband komplett aus der Verantwortung zu stehlen. Gegenüber »nd« sagte ein FIFA-Sprecher zu den vielen Toten auf den WM-Baustellen: »Die Weltmeisterschaft ist erst in neun Jahren. Wenn wir objektiv sind, geht es in diesen Fällen gar nicht um die FIFA.« Fest steht, dass die Situation der Gastarbeiter in Katar über vier Jahre nach der WM-Vergabe immer noch nicht spürbar verbessert wurde.

Das könnte an der allgemeinen Funktionärskrankheit liegen, vielen wohlmeinenden Worten dementsprechende Taten nicht folgen zu lassen. Manch einer wird gar von einer schrecklichen Betriebsblindheit erfasst. Wie Franz Beckenbauer, der von seinen Besuchen im Emirat berichtete: »Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum, ohne Ketten.« Oder wie Theo Zwanziger, der allen Ernstes seinen FIFA-Präsidenten Joseph Blatter »an der Spitze eines Reformprozesses« beim Weltverband sieht. Warum? »Weil Blatter in allen Sitzungen, an denen ich teilgenommen habe, seinen Reformwillen klar bekundet hat«, schilderte Zwanziger im November 2012 seine erste Zeit im Exekutivkomitee.

Joseph Blatter steht aber vielmehr an der Spitze eines sogenannten Reformprozesses, weil er an der Spitze des Weltverbandes steht. Und genau das ist das Dilemma. Denn der Schweizer bestimmt, was als Reform verkauft wird. So kann beispielsweise die Rechtsabteilung der FIFA wie im Frühjahr 2014 einfach Passagen aus dem vorläufigen Abschlussbericht des Reformbeauftragten Mark Pieth streichen, in denen die Rolle des Präsidenten kritisiert wird.

Der 78-jährige Schweizer hat seinen Laden komplett im Griff. Wer ihm folgt, hat nichts zu befürchten, sondern wird reichlich belohnt. Und ihm folgen leider viele, weil es im Fußball um viel Geld geht. Spätestens seit der Vergabe der WM 2010 an Südafrika kann sich Blatter der uneingeschränkten Unterstützung des afrikanischen Fußballverbandes CAF sicher sein. »Wir stehen zu einhundert Prozent hinter allen Änderungen im Kalender, die WM-bedingt sind«, sagte CAF-Sprecher Junior Binyam am Mittwoch. Für die Winter-WM 2022 wird der Afrika-Cup kurzerhand und klaglos in den Sommer 2023 verlegt. Auch Asien hält zu Blatter. Kurz nachdem der jordanische Prinz Ali Bin al-Hussein seine Präsidentschaftskandidatur für die FIFA-Wahlen am 29. Mai angekündigt hatte, ließ der asiatische Fußballverband AFC mitteilen, dass er geschlossen für Jospeh Blatter stimmen werde. Wenig später sprach Prinz Ali aus seinen Erfahrungen als FIFA-Vizepräsident von einer »Kultur der Einschüchterung« beim Weltverband.

Und wie verhält sich die Europäische Fußballunion? Wie sich Funktionäre wie Theo Zwanziger, der als Vertreter der UEFA im Exekutivkomitee des Weltverbandes sitzt, eben verhalten. Von wohlmeinenden Worten, wie zum WM-Gastgeber Katar als größtem Fehler der Sportgeschichte, zu widersprüchlichen Taten: Er ist einer der größten Unterstützer Blatters.

Die wirklich beachtenswerte Rolle der FIFA liegt nicht, wie Zwanziger es sieht »im gesellschaftlichen Bereich«, sondern ganz klar im wirtschaftlichen: in der Erschließung neuer Märkte wie beispielsweise Katar. Und dort wollen alle mitverdienen. Und so ist es wenig erstaunlich, dass es die größten Proteste gegen die WM 2022 erst jetzt gab - nachdem das Turnier in den Winter verlegt wurde. Die europäischen Fußballligen befürchten Mehrkosten und Einnahmeverluste durch die Umstellung ihrer Spielpläne. Der Wintersport fürchtet um die Bedeutung seiner Weltcups und großen Meisterschaften. Aus fast allen anderen Sportarten krochen die Kritiker plötzlich reihenweise aus den Löchern. Die Hoffnung auf Entschädigungszahlungen treibt die meisten sehr viel mehr um als Korruption bei der FIFA oder Menschenrechte für Gastarbeiter in Katar.

»Es wird keine finanzielle Kompensation geben«, betonte zwar Jérôme Valcke am Mittwoch. Aber der FIFA-Generalsekretär ist eben ein Funktionär, der eben oftmals etwas sagt, es aber ganz anders meint. Er ist sogar ein gerichtsfester Lügner: Als die FIFA 2006 trotz eines laufenden Sponsoringvertrages mit dem Kreditkartenunternehmen »Mastercard« einen neuen, lukrativeren Vertrag mit dem Konkurrenten »Visa« abschloss, nannte Valcke im Prozess Vertragsbruch »normales Geschäftsgebaren«. Damals war Valcke FIFA-Marketingchef und musste gehen - als Bauernopfer. Ein Jahr später kam er zurück und stieg in der Hierarchie des Weltverbandes zum Generalsekretär auf.

Deshalb darf man durchaus annehmen, dass es Entschädigungszahlungen geben wird. Wie schon im Falle des amerikanischen Fernsehsenders »Fox« geschehen. In den USA ist im Winter die Hochzeit des American Football - auch und vor allem im bezahlbaren Fernsehen. Als »Fox« von den Winterplänen der FIFA erfuhr, war der TV-Gigant entsprechend entrüstet. Aber nur kurz: Nachdem der Weltverband dem Sender die Fernsehrechte für die Fußball-WM 2026 zuschob - ohne eine Ausschreibung, die ihm wesentlich mehr Geld eingebracht hätte - , waren beide wieder beste Freunde. Bei der FIFA muss man auf alles gefasst sein. Auch darauf, dass die WM 2026 an die USA vergeben werden. Sie werden schon jetzt hoch gehandelt.

Bei all dem entwickelt man ein gewisses Verständnis für Theo Zwanziger. Ja, seine Zeit im Sport ist schon lange zu Ende. Erschütternd bleibt es allemal: Denn immerhin ist er bis Mai 2015 noch ein führendes Mitglied eines Sportverbandes.

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