Zwangsräumung ohne Vorwarnung

In Madrid werden die Bewohner eines aus Not besetzten Gebäudes erneut in die Obdachlosigkeit gestoßen

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sieht Licht am Ende des Tunnels. 20 Familien stehen vor einer finsteren Zukunft, nachdem sie geräumt wurden - ohne Vorwarnung und ohne Wohnalternativen.

Leerstand und Obdachlosigkeit sind in Spanien kein Widerspruch. Allein in Madrid stehen fast 300 000 Wohnungen leer, fast zehn Prozent des Bestands. Zwangsräumungen verhindert das freilich nicht. Am Mittwoch kam es in der spanischen Hauptstadt erneut zu dramatischen Szenen, als ein Gebäude geräumt wurde, in dem 20 wohnungslose Familien mit 13 Kindern ein Dach über dem Kopf gefunden hatten.

Das Gebäude wurde im Mai 2014 von Mitgliedern des »Sozialwerks« der »Vereinigung der Hypothekengeschädigten« (PAH) besetzt, nachdem es fünf Jahre leer stand. Der Name »Sozialwerk« spielt ironisch auf die Unfähigkeit der Behörden an, wohnungslosen Familien eine bezahlbare Wohnung anzubieten. Das galt auch für die Bewohner aus dem Madrider Stadtteil »La Latina«, die zuvor aus ihren Wohnungen geflogen waren, weil sie wegen Arbeitslosigkeit Hypotheken oder die Mieten nicht mehr bezahlen konnten. Dank dem »Sozialwerk« der PAH, fanden sie in dem Gebäude Unterschlupf.

Überraschend und ohne vorhergehende Aufforderung, das fünfstöckige Gebäude in der Toledo-Straße freiwillig zu verlassen, rückten am Mittwochmittag 50 Beamte der Nationalpolizei an und räumten die »Cava« (Kellerei). 46 Menschen wurden erneut obdachlos, darunter eine 70-jährige Frau. »Die Kinder kamen aus der Schule zurück und fanden ihre Habseligkeiten auf der Straße«, beschreibt das PAH-Mitglied Mercedes Revuelta. Miriam, eine der geräumten Bewohner und Bewohnerinnen, die ihre schwer kranke Schwester pflegt, steht nun wieder auf der Straße. »Die Behörden haben mir keinerlei Angebot gemacht«, sagte die Frau, der die Polizei fünf Minuten gab, um ein paar Sachen zusammenzupacken.

Für die PAH ist klar, dass die Vorwarnung unterblieb, um eine breite Mobilisierung zu verhindern. Damit konnten bisher immer wieder Räumungen verhindert werden.

Geschätzt wird, dass seit Beginn der Krise 2007 gut 400 000 Familien in Spanien das Schicksal einer Räumung erleiden mussten. Nach Angaben der PAH, wurden über Besetzungen im Land mehr als 2500 Menschen untergebracht. Von Räumung bedroht ist auch das größte vom »Sozialwerk« besetzte Gebäude im katalanischen Sabadell, wo 146 Personen - davon 58 Kinder - wohnen. Ohne Ankündigung zu räumen, macht in Madrid vor den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai Schule, um sie möglichst still durchzuziehen. »In der vergangenen Woche wurden drei Familien brutal im Stadtteil Tetuán geräumt und das Haus sofort abgerissen«, erklärt die PAH. Da die Behörden keine Wohnungen anbieten, bleibe kein anderer Weg, als erneut zu besetzen.

Während die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy vor den Parlamentswahlen im Herbst angesichts eines schwachen Wachstums und der leicht fallenden Arbeitslosigkeit verkündet, die Krise sei vorbei, ist kein Ende der Zwangsräumungen in Sicht. Das Statistikamt (INE) hat ermittelt, dass die Zahl der Betroffenen steigt. Knapp 35 000 Familien wurden allein 2014 geräumt, weil sie ihre Kredite nicht mehr bezahlen konnten. Die Zahl aller 2014 aus diesem Grund eingeleiteten Verfahren stieg gegenüber dem Vorjahr um 9,3 Prozent auf 120 000. Besonders beachtlich ist, dass die Zahl der Bewohner, deren Hauptwohnsitz betroffen ist, im letzten Quartal 2014 gegenüber dem Vorquartal sogar um knapp 30 Prozent gestiegen ist.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.