Schwesig gegen Schwesig

Betreuungsgeldklage wird zum Balanceakt

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Drahtseilakt für Manuela Schwesig (SPD): Ab Dienstag wird das von ihr geführte Bundesfamilienministerium ein Gesetz verteidigen müssen, das sie persönlich ablehnt und dessen Einführung sie als Familienministerin Mecklenburg-Vorpommerns vehement bekämpft hatte. »Meine kritische Haltung zum Betreuungsgeld ist bekannt, und es wäre jetzt unglaubwürdig, so zu tun, als ob sich das geändert hätte«, sagte sie dem »Deutschlandfunk«. Ab August 2013 bekamen Eltern, die Kinder unter drei Jahren nicht in eine Betreuungseinrichtung geben, monatlich 100 Euro; 2014 wurde das Betreuungsgeld auf 150 Euro angehoben.

Schwesig versucht nun, der juristischen Auseinandersetzung dennoch einen Nutzen abzugewinnen: Denn das Gericht entscheide nicht darüber, ob es sinnvoll sei, das Geld für die - von ihr im Jahr 2012 noch als »Fernhalteprämie« und von der SPD im Bundestagswahlprogramm 2013 als »Herdprämie« bezeichnete - Leistung auszugeben. Bei der Normenkon- trollklage, die das SPD-geführte Land Hamburg im Februar 2013 angestrengt hat, gehe es vielmehr darum, zu klären, ob das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) verfassungsgemäß sei und der Bund solche Gesetze grundsätzlich erlassen dürfe. »Unabhängig davon, wie man zum Betreuungsgeld steht, müssen wir ein Interesse haben, dass wir bundesweit weiter Gesetze für Familien auf den Weg bringen können«, so Schwesig.

Für Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) aber ist das nicht der einzige Punkt: Das BEEG verletze außerdem den im Grundgesetz festgelegten Gleichheitsgrundsatz und verstoße gegen das Familien- und Elterngrundrecht, argumentiert er. Eine »Fernhalteprämie« ist das Gesetz demnach gleich in zweierlei Hinsicht: Es halte Mütter vom Arbeitsmarkt und Kinder von Bildungsmöglichkeiten fern, so Scheele. Das zementiere überkommene Rollenbilder und könne besonders für Kinder aus Einwandererfamilien oder einkommensschwachen Schichten zum Problem werden. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das letzte Quartal 2014 bestätigen die Rollenbilder-These: Demnach ging das Betreuungsgeld zu fast 95 Prozent an Mütter.

Ob die Argumente Hamburgs ausreichen, um das Gesetz zu kippen, ist fraglich. Die anderen Bundesländer scheinen sich auch nicht sicher zu sein - zumindest hat sich keines der Klage angeschlossen. Und dann ist da noch Bayern: Das CSU-geführte Land hatte mit allen Mitteln für die Einführung des Betreuungsgeldes gekämpft und diesen Kampf schließlich gewonnen. Beim Prozess werde man Schwesig - die selbst nicht vor dem Bundesverfassungsgericht aussagt - »unter besondere Beobachtung« nehmen, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Montag.

Dafür abgestellt ist Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU). Sie kündigte an, für den Erhalt der Leistung kämpfen zu wollen. Für die bayerische Quasi-Staatspartei ist das Betreuungsgeld mitnichten eine »Herdprämie«, sondern vielmehr die Verwirklichung des Rechts auf Wahlfreiheit und eine staatliche Anerkennung der Erziehungsleistung von Eltern.

Die Drohung aus dem Süden macht es dem Vertreter des Familienministeriums, Ralf Kleindiek, nicht leichter. Der von Schwesig vorgeschickte Staatssekretär muss ohnehin noch besser als seine Chefin balancieren können: Vor seiner Berufung ins Ministerium war er als Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde tätig - und hat die Klage mit ausgearbeitet, die er nun abschmettern muss.

Während die SPD nur insgeheim auf einen Erfolg der Hamburger hoffen kann, äußerten sich andere offen hoffnungsvoll: Die Ex-Vorsitzende der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, Ilse Wehrmann, sagte der Nachrichtenagentur epd, man brauche das Geld, das derzeit für das Betreuungsgeld ausgegeben werde, zur Finanzierung von Bildung und um Erzieher vernünftig zu entlohnen.

Im Bundeshaushalt 2014 war rund eine Milliarde Euro für die Sozialleistung vorgesehen. Wegen niedrigeren Bedarfs wurde es für 2015 auf rund 900 Millionen Euro gesenkt. Schwesig geht davon aus, dass auch dieses Jahr wieder weniger abgerufen wird, als zur Verfügung steht. Der Spielraum könne etwa genutzt werden, um Alleinerziehende zu entlasten, so die Ministerin. Allerdings stieg die Zahl der Betreuungsgeldbezieher vom letzten Quartal 2013 innerhalb eines Jahres um 22 Prozent. Rund 386 500 Eltern nutzten laut Statistischem Bundesamt zuletzt die Leistung - vor allem in Süddeutschland.

Auch das Deutsche Kinderhilfswerk setzt auf die Karlsruher Richter: »Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht einen sozialpolitischen Fehlschluss der Regierung korrigieren hilft«, sagte Präsident Thomas Krüger am Montag. Das Betreuungsgeld konterkariere die Ziele der Bildungs- und Sozialpolitik, zusätzlich vergrößere es die Schere zwischen Arm und Reich, kritisierte er.

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