Weniger ist mehr
Im Kino: »10 Milliarden - Wie werden wir alle satt?«
Wenn alle Menschen Bio essen wollten, würde die Hälfte der Menschheit verhungern, weil die Anbaufläche gar nicht reicht. Wahr oder falsch? Ist die flächendeckende, massenproduzierende, gift- und düngemittel-intensive, Tier, Mensch und Umwelt belastende industrielle Landwirtschaft wirklich die beste, ist sie gar die einzige erfolgversprechende Lösung, was die Ernährung einer rasant wachsenden Weltbevölkerung angeht? Ist sie überhaupt eine Lösung?
Wenn wir laut Prognosen um die Jahrhundertmitte zehn Milliarden Weltbürger sein werden, wie kriegt man die dann alle satt, wo doch schon heute Menschen Hunger leiden - dabei sind wir »erst« sieben Milliarden? Der Dokumentarfilmer Valentin Thurn legte vor vier Jahren mit »Taste the Waste« eine aufrüttelnde Chronik der systemischen Lebensmittel-Verschwendung in den westlichen Wohlstandsländern vor. Er bewirkte damit tatsächlich ein gewisses Umdenken und stellt mit seinem neuen Dokumentarfilm eine ebenso schlichte wie alles entscheidende Frage: »10 Milliarden - Wie werden wir alle satt«?
Nun ist Nahrungsknappheit nicht das einzige Problem, das zehn Milliarden Menschen provozieren. Wasser- und Energiebedarf wären andere Themen, die man in diesem Zusammenhang diskutieren könnte. Thurn aber hat die Nahrung zu seinem Thema gemacht - auch ganz persönlich. Er ist Mitgründer des informellen Verwertungsnetzwerks Foodsharing, das Menschen, die Essen übrig haben, mit Menschen zusammenbringt, die überzähliges Essen gut gebrauchen können. Damit hat er auch über den Film »Taste the Waste« hinaus bewiesen, dass es ihm ernst mit diesem Aspekt ist. Im Fernsehen ist er als Aufklärer zu wechselnden Themen schon lange aktiv.
Wo Thurns Präferenzen liegen - bei der globalisierten Lebensmittelproduktion ganz großen Maßstabs oder im kleinteiligen bäuerlichen Betrieb, sprich: auf der Seite der Konzerne und Investoren oder auf der der Familienbetriebe, lokalen Initiativen und ideenreichen Besserverwerter - ist also von Anfang an vorhersehbar. Aber Thurn dreht fair: Die Großunternehmer, Zuchtfarmer, Lebensmittelchemiker und Massentierhalter, die er besucht und vor der Kamera über ihre Arbeit, ihre Methoden, ihre Ziele sprechen lässt, kommen genauso ausführlich zu Wort wie die Biobauern und Stadtbegrüner, die afrikanischen Kleinbäuerinnen, deutschen Milchbauern, US-amerikanischen Großstadtfarmer und englischen Alternativwirtschafter, denen seine ganze Sympathie gilt.
Von Kanada bis Thailand, von Japan bis Mosambik und Malawi reiste Thurn, sprach mit Verantwortlichen für die Gentechniksparte beim Großkonzern Bayer ebenso wie mit Felix zu Löwenstein, dem wortgewandten Vorzeige-Prinzen der deutschen Öko-Landwirtschaft. Züchter von Mega-Lachsen und Monokultur-Soja, ein indischer Geflügelgroßproduzent und der Direktor eines japanischen Hightech-Pflanzenlabors stellen die Vorzüge ihrer wachstumsorientierten Unternehmen vor.
Auf der anderen Seite besucht Thurn Vorgartenlandwirte, Lokalvernetzer, die kleinen Helden diverser nachhaltigkeits- und bedarfsorientierter Selbstversorgerinitiativen. Und eine indische Saatgutbankbetreiberin: Hier hat Thurn tatsächlich mal eine andere Kronzeugin gefunden als die Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Vandana Shiva, die in diesem Kontext sonst gern für ihre Verdienste gefeiert wird.
Kleinteiligkeit, direkte Verantwortlichkeit, widerstandsfähiges, an die lokalen Gegebenheiten angepasstes Saatgut und ein Auge auf mehr als nur die Produktionssteigerung sind die Lösungsansätze auf die große Eingangsfrage, die der Film vorschlägt. Nicht immer mehr Fläche also, immer mehr Technik, immer mehr Chemie, sondern Beschränkung auf das Notwendige, Augenmaß, Fantasie und ein sorgsamer Umgang mit den Ressourcen.
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