Wo kommen eigentlich die Kriege her?

Nach seinem Erfolgsbuch »The Circle« schiebt der US-amerikanische Schriftsteller Dave Eggers gleich einen Roman nach

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Der US-amerikanische Schriftsteller Dave Eggers ist ein guter Mensch. Und er schreibt unermüdlich ein erfolgreiches Buch nach dem anderen, in denen von den Schicksalen gebeutelter Menschen erzählt wird: von Menschen, die anderen in der Not helfen wollen und am Rassismus der US-amerikanischen Behörden scheitern, wie in »Zeitoun«, oder von solchen, die auf der Flucht vor Bürgerkriegen sind, wie in »Weit gegangen«, oder, wie zuletzt in dem von der »FAS« angepriesenen Roman »The Circle«, von jungen Menschen, die sich bereitwillig, ja geradezu enthusiastisch ein umfassendes Kontroll-, Ausbeutungs- und Überwachungssystem als ein Konzept zur Menschheitsbeglückung und -befreiung vorgaukeln lassen und gar nicht bemerken, wie sie immerfort unglücklicher werden.

Einen nicht gerade eben geringen Teil der Erlöse, die der anfangs als literarischer Außenseiter Wahrgenommene und mittlerweile zum Bestsellerautor Gewordene mit seinen Romanen und seinem eigenen unabhängigen Verlag erwirtschaftet, geht an soziale Einrichtungen, Hilfsorganisationen und Zeitzeugenprojekte, oder es wird eine Schule gebaut mit dem Geld. Und in der Zeit, in der andere morgens beim Bäcker Brötchen gekauft haben, hat er womöglich schon wieder zwei neue gemeinnützige Organisationen ins Leben gerufen. Eggers ist ein guter Mensch, ein Linker, wenn man so will, einer, der nicht müde wird, unschöne Zustände anzuprangern, der sich für Menschen, die’s schwer haben und denen Unrecht widerfährt, interessiert, einer der letzten auch, wie’s scheint, die ein Herz haben. In bestimmten Regionen der USA hält man einen wie ihn für einen dunklen Gesellen, der lieber heute als morgen den Kommunismus einführen will. Die Welt wäre eine bessere, gerechtere, weniger grausame, wenn es mehr Menschen seines Schlages gäbe. Aber er ist auch ein Schriftsteller, der sich, wie er schon mit seinem dystopischen Trivialroman »The Circle« bewies, nicht besonders für Sprache interessiert, was ungefähr so ist, als verschwende ein Sternekoch keinerlei Gedanken an die Zutaten eines Gerichts, das er zuzubereiten sich anschickt.

Eggers’ neuester Streich ist ein Roman, der etwas hochgradig Kammerspielhaftes hat und ausschließlich aus Dialogen besteht. Aus Dialogen, die ein Kidnapper auf einem verlassenen, von der US-Armee aufgegebenen Militärkasernengelände mit seinen Entführungsopfern führt, die er gewaltsam dorthin verschleppt hat, um sie zu befragen: nach dem bedauernswerten Zustand der Welt und den dafür Verantwortlichen, nach Dingen, die in der Vergangenheit schiefgelaufen sind, kurz: nach den Gründen für das Scheitern seines Lebens. Nach und nach entpuppt sich der Entführer, Thomas mit Namen, den man zu Beginn nicht ganz ohne Sympathie betrachtet, als selbstgerechter Kauz mit einem gehörigen Hau (»Ich bin ziemlich sicher, dass ich besser geraten wäre und dass jeder, den ich kenne, besser geraten wäre, wenn wir bei irgendeinem universalen Kampf mitgemacht hätten, bei irgendwas, das größer ist als wir selbst«), als unberechenbarer moralischer und religiöser Eiferer, der auf der Suche nach Schuldigen für seine persönlichen Probleme ist. Und schuld sind natürlich, so stellt sich heraus, in aufsteigender Reihe, die Familie, die Institutionen, »der Staat« bzw. »die da oben«. Oder womöglich eben doch auch die verkorkste Mutter-Sohn-Beziehung, in der Thomas aufgewachsen ist: Ist seine Mutter egozentrisch, verantwortungslos, ein gefühlloses Drogenwrack, die ihn als Kind vernachlässigte, wie von ihm dargestellt? Oder haben sein Narzissmus, sein Wahn, seine Antriebslosigkeit, sein Vereinsamung ganz andere Ursachen? Man weiß es nicht. Und irgendwann will man das auch nicht mehr so genau wissen.

Über den Schauplatz, zellenartige Räume in einer verlassenen Kaserne, in denen sich die Entführten an Pfeiler gekettet wiederfinden, erfahren wir praktisch nichts. Dafür wird dem Protagonisten, dem Entführer, einem »amoklaufenden Moralapostel« (»FAZ«), die Gelegenheit gegeben, vieles loszuwerden, was ihm auf der Seele brennt. Sein erstes Opfer ist ein ehemaliger Mitschüler, der eine bürgerliche Bilderbuchkarriere gemacht hat, ein Astronaut (!): »Du warst immer so seriös, so genau und gewissenhaft und anständig. Und mit dem Bürstenschnitt und den kurzärmeligen Button-down-Hemden warst du total anachronistisch. Ich schätze, das muss man sein, wenn man Astronaut werden will - dann muss man so adrett sein. So sauber und rein.« Dann folgen - als Verschleppte - ein Kongressabgeordneter (Vietnam-Veteran), ein Schullehrer, die eigene Mutter, ein Polizist, eine Krankenhausangestellte und eine weitere Frau.

Die minimalistische Anlage des Romans - ein von seiner Hauptfigur erzwungener Dauerdialog mit den von ihm Entführten, ein beklemmendes Kammerspiel -, so sollte man meinen, gibt dem Autor die Möglichkeit, sein gesamtes Können auf die Sprache zu konzentrieren, beim Leser die Vorstellung einer bedrückenden Zwangssituation zu evozieren: Wie spricht ein von seinen Zwangsvorstellungen oder Obsessionen Getriebener? Und was machen Todesangst oder Verstörung mit der Sprache der Opfer?

Stattdessen werden am Reißbrett entworfene und von papierenen Figuren heruntergeleierte Gespräche abgespult, die nicht selten an das Niveau einer Vorabendserie erinnern oder unfreiwillige Komik entfalten. Aus dem Dialog mit der entführten und gefesselten Mutter: »Du hast mich gekidnappt (...)« - »Ich fass es nicht, dass du mir so eine Anschuldigung an den Kopf wirfst, in deiner Lage!« - »Ich bin deine Mutter.« - »Aber du bist an einen Pfeiler gekettet.«

Und auch Thomas, der Kidnapper, erinnert an eine Sprechpuppe, die von Eggers mit wie auf Stelzen daherkommenden Quatschsätzen ausgestattet worden ist: »Diese Kopfschmerzen machen mir das Leben zur Hölle, und die Decke scheint sich jeden Tag ein bisschen tiefer zu senken.«

Im Grunde ist Eggers’ gewiss gutgemeinter, plakativer Text ein bemüht zum »Roman« veredelter Textbaukasten (Thomas: »Wie lange ist es her, dass wir zuletzt irgendwas gemacht haben, das irgendwen inspiriert hat?«), eine Art Textgerüst, an das nach Gutdünken immer neues Halbfertiges angebaut wird und das dem Autor dient, um so verschiedene seiner Lieblingsthemen (Krieg, Gesundheit, Bildung und Soziales, Rassismus, Bürokratie usw.) zu verwursten. Doch die Fragen, die Thomas seinen gekidnappten Opfern stellt, sind banal, während diese Entsprechendes antworten (der Kongressabgeordnete: »Junge Männer dürfen keinen Zugang haben zu Schusswaffen, Bomben, Frauen, Autos, hochprozentigem Alkohol und schweren Maschinen.«) Als würde Klein-Erna ihre Eltern fragen: »Papa, wo kommen die Kriege her?« Und diese würden antworten: »Die werden von bösen Menschen gemacht.«

Lange habe ich gesucht in dem neuen Roman von Dave Eggers, habe immer wieder vor- und zurückgeblättert, doch den »ironischem Unterton«, den das Boulevardnachrichtenportal »Spiegel-Online« in dem Buch entdeckt haben will, konnte ich beim besten Willen nicht finden. Was daran liegen könnte, dass er nicht da ist.

Dave Eggers: Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig? Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, 221 S., geb., 18,99 €.

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