»The Forecaster«: Euro-Crash zum Nationalfeiertag
Ein Mann sagt Börsenturbulenzen für den 1. Oktober voraus
Pi. Diese mathematische Größe bestimmt das Verhältnis des Umfangs eines Kreises zu seinem Durchmesser. In die Wirtschaftswissenschaften führte sie der amerikanische Banker Martin Armstrong ein, nachdem er Computer mit den Daten von 6000 Jahren ökonomischer Menschheitsgeschichte gefüttert hatte. »Ich weiß nicht, warum diese Zahl den Krisenzyklus an den Finanzmärkten beeinflusst. Ich war selbst überrascht, als ich den Zusammenhang entdeckte« gesteht Armstrong bei unserem Treffen in Berlin. Anlass ist die Premiere von »The Forecaster«, einem Porträt Armstrongs, das der deutsche Regisseur Marcus Vetter schuf.
Bevor der Tübinger »Das Herz von Jenin« inszenierte und er sich dem Wiederaufbau eines Kinos in der palästinensischen Stadt widmete, drehte er für den SWR Reportagen über den Börsenboom. In »Day Trader« porträtierte er 1999 Menschen, die am heimischen Computer Geld mit Termingeschäften machen. Jahre später untersuchte er das Phänomen der Aktie von E.M TV, deren Wert durch die Decke ging. »Damals wollte ich unbedingt mit einem Spieltheoretiker sprechen. Alle Experten haben mir Armstrong empfohlen. Doch der lehnte ab,« erinnert sich Vetter an die ersten Versuche der Kontaktaufnahme.
Bei Vetters zweitem Versuch saß Armstrong bereits hinter Gittern. Zwölf Jahre verbrachte der Börsen-Guru seit 2011 in Einzelhaft. Eine Anklage gab es nie. Zuvor hatte er mit Hilfe seiner Pi-Formel sowie der Analyse von Geldströmen an den Kapitalmärkten den »Schwarzen Montag« im Oktober 1987, den Fall des Nikkei-Index, die russische Staatspleite sowie das Platzen der Dotcom-Blase vorausgesagt. Politiker und Experten waren elektrisiert. Jeder wollte den Pi-Code. Doch die Kassandra der Wirtschaftswissenschaften behielt ihn im Kopf.
George Bush jr. bot ihm den Posten als Chief Economic Advisor an. Armstrong lehnte ab. Zeitgleich wurde die Anklage gegen ihn vorbereitet. Nach dem Zusammenbruch des Nikkei hatte er Billionen aus japanischen Pensionsfonds in den USA angelegt und garantierte in zehn Jahren eine Verdoppelung des Betrags. Den Kurs von Dollar zu Yen sicherte er sich ab. Als er das Geld in die japanische Währung zurücktauschte, wurden ihm Spekulationen gegen den Yen vorgeworfen. »So sehr ich mich auch bemüht habe, es gelang mir nicht, dieses Absichern schlüssig im Film zu erklären«; gesteht Vetter.
Er verzichtete vollständig auf Details der Anklage. Zuvor hatte er gemeinsam mit seiner Koautorin Karin Steinberger von der »Süddeutschen Zeitung« Tausende Seiten der Hearings gelesen und für den Film nachgestellt. »Martin ist sich selbst nicht sicher, warum er verhaftet wurde. Entweder weil er konsequent über Spekulation und Manipulation der Zyklen auf den Märkten geschrieben hat. Vielleicht ist er auch der Bank of Republik bei einer anderen Manipulation in die Quere gekommen,« erzählt Vetter. Eher zufällig könnte Armstrong Manövern der Bank auf die Schliche gekommen sein, die zum überraschenden Machtverzicht von Boris Jelzin führten. Damals wurde, so der Film, der farblose Wladimir Putin als Alternative an die russische Staatsspitze gelobt.
Kurz nach der Freilassung Armstrongs im Jahre 2011 begann Marcus Vetter mit dem Film. Er habe einen gebrochenen Menschen vor sich gehabt. Es fiel dem heute 65jährigen schwer, sich und seine Theorien zu erklären. Aus diesem Tief kam er heraus, weil sein Ruf in der Branche kaum gelitten hat. Und mehrere Vorhersagen wieder eintrafen. Armstrong hatte den Anstieg des Dollar-Kurses, das Steigen der Aktienpreise, das Rekordtief der Zinsen und 2014 die Flüchtlingswelle beginnen prophezeit Armstrong sieht nur einen Weg, damit Staaten gegenüber den Turbulenzen an den Börsen immun werden: Sie dürfen keine Staatschulden machen. Denn sie werden sie nie zurückzahlen. Nur einmal in der Geschichte der Menschheit hätte ein Land seine Kredite zurückgezahlt. Rumänien beglich 1980 seine Verbindlichkeiten, die Bevölkerung badete dies mit dem Zusammenbruch der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln aus. »Regierungen haben wenig Ahnung vom Finanzsystem,« fällt Armstrong ein hartes Urteil. »Nehmen Sie die Chefin des IWF. Sie ist Anwältin. Welches Recht hat sie, Staaten ihre Wirtschaftspolitik vorzuschreiben. Sie wurde dafür nie ausgebildet. Sie wiederholt immer nur die gleichen Theorien und Rezepte, die ihnen eingetrichtert wurden.«
Armstrong warnte schon 1997 vor der wackligen Konstruktion des Euro. Der Rat verhallte ungehört. Denn im Gegensatz zum Dollar habe die europäische Währung zwei Nachteile. Bei seiner Einführung wurde das Staatschuldenproblem nicht gelöst. Den nächsten Crash sagt das Wirtschafts-Orakel für den 1. Oktober 2015 voraus. »Alle Krisensymptome sind mittlerweile eingetreten,« denkt Armstrong.
Der Amerikaner bleibt weiter eine unbequeme Kassandra. Seine Theorien packt Vetter in einen faszinierenden Wirtschaftskrimi, der auch für Laien verständlich ist. Alle Fachtermini schmiss der Regisseur raus. Immer wieder testete er die Verständlichkeit des Films, der auch die private Seite Armstrongs als liebevollen alleinerziehenden Vater zeigt.
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