Italiens Lehrer gegen Schulreform

Allein in Rom demonstrierten 100 000 gegen Renzis Privatisierungspläne

  • Anna Maldini
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Reform des Schulwesens ist ein Herzensanliegen von Ministerpräsident Matteo Renzi. Die Lehrkräfte kämpfen für Festanstellungen. Die Schüler streiken mit.

Die Schulreform, die die sozialdemokratische Regierung von Matteo Renzi auf den Weg gebracht hat, heißt »Die Gute Schule«. Doch die italienischen Gewerkschaften sind der Meinung, dass dieser Name vollkommen falsch ist. Zum ersten Mal seit fast acht Jahren haben darum Anfang dieser Woche alle Gewerkschaften, die im Schulbereich tätig sind, zusammen die Arbeit für einen Tag niedergelegt - und die Schüler gleich mit. In neun italienischen Städten, zwischen Mailand und Palermo, fanden große Demonstrationen statt, allein in Rom waren weit über 100 000 Menschen auf der Straße.

Als Ministerpräsident Matteo Renzi sein Amt übernahm, erklärte der Politiker der Demokratischen Partei, eine Schwerpunkt seiner Regierungszeit werde die Schulreform sein. Der Vater von drei Kindern und Mann einer Lehrerin sagte, man müsse das italienische Schulsystem von Grund auf reformieren und beauftragte seine Erziehungsministerin Stefania Giannini, die Reform auszuarbeiten. Der Gesetzesvorschlag wird derzeit im Parlament diskutiert, aber die Gewerkschaften wollen alles tun, um ihn in wesentlichen Punkten abzuändern

Im Schulbereich sind in Italien eine große Zahl von Gewerkschaften aktiv. In erster Linie die drei Dachverbände CGIL, CISL und UIL mit ihren jeweiligen Spartengewerkschaften, die auch das Hilfspersonal in der Schule vertreten. Dazu kommen eine Reihe von Basisgewerkschaften, die vor allem unter den Lehrern großen Anhang haben. Allgemein kann man sagen, dass die Basisgewerkschaften radikaler und gleichzeitig weniger politisch als die Dachgewerkschaften sind. Heute aber sind ihre Forderungen gleich oder zumindest sehr ähnlich und auf dem Kundgebungen waren unterschiedslos alle vertreten.

Eine Forderung, die alle vereint, ist die feste Einstellung all der Lehrer, die unter prekären Verhältnissen beschäftigt sind. In Italien gibt es keine Beamten sondern nur Staatsangestellte. Gerade im Schulbereich ist die Zahl dieser Beschäftigten, die manchmal nur für einige Monate im Jahr arbeiten oder nur Schwangerschaftsvertretungen machen, enorm angestiegen. Schätzungen sprechen von etwa 160 000 Menschen, die immer wieder von Neuem fürchten müssen, auf die Straße gesetzt zu werden. Alle diese »Prekären« haben einen langen Ausbildungsweg hinter sich und das staatliche Diplom errungen, das sie zur Lehrtätigkeit berechtigt.

Nun hat vor einigen Monaten der europäische Gerichtshof Italien gerade zur Situation im öffentlichen Dienst geurteilt und die Festanstellung der Lehrer gefordert. Wenn die Regierung sich jetzt damit brüstet, kritisieren die Gewerkschaften, etwa 100 000 Lehrer fest einstellen zu wollen, dann ist das nur eine Erfüllung der europäischen Auflagen. Etwa 60 000 Personen sind aber von der Regierungsreform ausgeschlossen und das, obwohl etliche von ihnen schon viele Jahre unterrichten.

Der zweite wichtige Punkt ist die Entscheidungsstruktur innerhalb der Schulen selbst: Die Reform sieht eine enorme Stärkung der Figur des Schulleiters vor, der nun mehr oder weniger allein über Lehrpläne, Einstellungen und auch über die Karriere Einzelner entscheiden soll. Die Gewerkschaften fordern, dass diese Entscheidungen weiterhin kollektiv, zusammen mit Eltern und Lehrern, getroffen werden. Ebenfalls kontrovers ist der Punkt, dass es in Zukunft möglich sein soll, einzelne Schulen mit Spenden zu unterstützen. In diesem Fall befürchten die Gewerkschaften, dass in einem Land, indem die Unterschiede zwischen Norden und Süden sowieso schon enorm sind, das Ungleichgewicht noch größer werden könnte.

Und schließlich wehren sich die Arbeitnehmer auch dagegen, dass die Regierung eine Steuervergünstigung für die Eltern vorsieht, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Dadurch, so die Gewerkschaften, könnte der Verfassungsgrundsatz der allgemeinen und staatlichen Schulbildung ausgehöhlt werden, zumal die etwa 150 Millionen Euro pro Jahr, die an zusätzlichen Kosten auf den Staat zukommen würden, dringend für andere Dinge gebraucht werden - beispielsweise für die Sanierung der 36 000 Schulen, die teils lebensgefährliche bauliche Mängel aufweisen.

Die Regierung hat auf die enorme Protestwelle anfangs nur mit Arroganz reagiert. »Das ist ein politischer Streik«, sagte etwa Bildungsministerin Giannini. In den letzten Stunden erklärte sich Regierungschef Matteo Renzi allerdings zu einer Art Dialog bereit: Man könne über alles diskutieren, aber die Grundideen der Reform bleiben unangetastet, ließ er verlauten. Während CGIL, CISL und UIL noch keine weiteren Kampfaktionen angekündigt haben, haben einige Basisgewerkschaften bereits damit gedroht, die anstehenden Zeugniskonferenzen zu boykottieren.

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