Miese Stimmung unter Deck
Eine neue GEW-Studie zur Lage der Beschäftigten an den Hochschulen
Ende des vergangenen Jahrtausends wagte Deutschland ein Experiment. Unter dem Namen »Bologna« wurde das System der Studiengänge und -abschlüsse reformiert; Diplom- und Magistertitel - die in Stein gemeißelt schienen - wurden nach und nach durch die Abschlüsse Bachelor und Master ersetzt. Ziel dieser Reform war unter anderem eine internationale Vergleichbarkeit der Studienleistungen.
Im nationalen Vergleich fällt das Urteil nach mehr als 15 Jahren eher vernichtend aus - jedenfalls, wenn man die hiesigen Unternehmen fragt. Das hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kürzlich getan und die Rückmeldung erhalten, dass nicht einmal die Hälfte (47 Prozent) mit den Bachelor-Absolventen zufrieden sind. Gegenüber 2007 ist die Zahl der unbefriedigten Firmen damit um 14 Prozentpunkte gestiegen.
Ende der Woche werden sich die europäischen Bildungsminister in der armenischen Hauptstadt Jerewan treffen, um darüber zu beraten, wie es weitergehen soll mit der Bologna-Reform. Sie können darauf vertrauen, dass die Studenten in Deutschland sich mittlerweile mit der Umstellung abgefunden haben. 78 Prozent bewerteten bei einer Ende letzten Jahres veröffentlichten Studie der Universität Konstanz die Qualität der Lehre positiv, 58 Prozent waren mit der Betreuung durch die Lehrenden zufrieden, 2001 lag dieser Wert bei lediglich 39 Prozent.
Ganz anders sieht es dagegen bei den Lehrenden aus. Eine Ende letzter Woche veröffentlichte Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl im akademischen Mittelbau wie auch bei den Professoren das Gefühl vorherrscht, dass durch die Bologna-Reform die Arbeitsbelastung gestiegen ist. Die GEW hatte für ihre - allerdings nicht repräsentative - Stichprobe rund 1100 Beschäftigte aus allen Hierarchiestufen im Rahmen einer Online-Untersuchung befragt. 59 Prozent der Professorinnen und Professoren beklagten, dass ihre Arbeitsbedingungen in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten schlechter geworden seien. Kritisiert wird von allen Wissenschaftlern vor allem der Druck, mehr Drittmittel einwerben zu müssen. 78 Prozent der Lehrenden und Forschenden an deutschen Hochschulen sehen darin eine Einschränkung ihrer Arbeitsmöglichkeiten - außerhalb Deutschlands liegt dieser Wert bei lediglich 40 Prozent.
Genau gesehen ist die Bologna-Reform der Anlass, nicht die Ursache des Problems. Zusammen mit dem Umbau des Studiensystems wurden nämlich immer mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse in Lehre und Forschung in befristete Arbeitsverträge umgewandelt. 2007 ließ sich die Bundesregierung dazu ein Gesetz einfallen, das den sperrigen Namen Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) trägt und eigentlich dazu dienen sollte, die Befristung der Arbeitsverträge des wissenschaftlichen Personals zu beschränken. In der Praxis hat das Gesetz aber eher das Gegenteil bewirkt. An vielen Hochschulen geht es - bildlich gesprochen - heute zu wie an Bord eines Containerschiffes: Nur noch in der Kapitänskajüte können sich die verbeamteten Professoren ihrer Jobs sicher sein, unter Deck werden die Matrosen durchgewechselt; die Jungakademiker hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag, manchmal sind die Arbeitsverträge lediglich auf ein Jahr befristet. Wer seinen Job sichern will, ist gut beraten, außeruniversitäre Geldgeber anzuzapfen. Geldknappheit der öffentlichen Kassen kann nicht der Grund für diese prekäre Situation sein, denn der Großteil dieser sogenannten Drittmittel stammt nicht aus der Privatwirtschaft, sondern aus den Töpfen der staatlichen Förderungen bestimmter Forschungsprojekte wie z. B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Man kann es auch anders formulieren: Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren die Grundfinanzierung der Hochschulen reduziert, um quasi über die Drittmittelfinanzierung, die eben gewährt werden kann oder nicht, ein Disziplinierungsinstrument in die Hand zu bekommen.
Die GEW macht seit Jahren gegen solche prekären Verhältnisse mobil. Mit Aussicht auf Erfolg: Vor Kurzem kündigte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) an, bis zum Sommer dem Parlament einen Entwurf für ein neues WissZeitVG vorzulegen, der der Kritik der akademischen Tagelöhner Rechnung tragen soll. Für den Hochschulexperten und GEW-Vize Andreas Keller ist dies ein Zeichen dafür, dass sich langsam etwas bewegt in der Politik. Das Ergebnis der von der Gewerkschaft in Auftrag gegebenen Studie habe in einem Punkt aber auch ihn überrascht, sagt er. Dass auch die Professorinnen und Professoren unter der Belastung leiden, die ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter ertragen müssen, sei schon bemerkenswert. Wenn unter Deck schlechte Stimmung herrscht, merkt man das halt auch in der Kapitänskajüte.
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