Alles verändert sich

Der Realismus Club lässt internationale Künstler »Konkrete Utopien« entwickeln

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Idee geht auf einen Begriff des Neomarxisten Ernst Bloch zurück. Unter »Konkreten Utopien« verstand er Tagträume, durch die nach dem Prinzip Hoffnung zumindest kleine Veränderungen als Möglichkeit durchgespielt, vielleicht gar erreicht werden könnten. Der 2014 begründete Realismus Club als Plattform für zeitgenössische Kunstproduktion greift jene Idee auf und nennt »Konkrete Utopien«, was er in einer Lagerhalle der Alten Post Schöneberg zeigt. Von den lediglich temporär verfügbaren 1000 Quadratmetern stehen 18 Künstlern mehrerer Länder beinahe 500 Quadratmeter zur Verfügung, um ihre Ideen zur obwaltenden Idee auszubreiten.

Erwartungsgemäß vielfältig und breit fällt das Spektrum der Arbeiten aus. Eher im Untergrund, fast subversiv, lebt Adam. Was sich in dem kahlen Großraum nicht realisieren lässt, versucht er durch eine Folge von Fotos einzufangen: Auf Farbdias wirbt eine Assistentin in Berliner U-Bahnen für Adams Untergrund-Sicht, er selbst hat das fotografiert. Sich selbst gefilmt hat Brad Downey beim Hantieren in muffiger Kochnische, wie ein Löffel unterm Wasserstrahl klappert. Konkreter geht Liz Hingley zu Werke. Auf 24 gleich gerahmten Fotos hielt sie zwischen 2007 und 2009 Szenen aus der Soho Road in Birmingham fest, wo auf engem Raum 30 Ethnien friedlich zusammen wohnen. Bibellektüre, singende polnische Christen, eine Sikh-Hochzeit, die Blumen eines Hare-Krishna-Tempels, Ankleiden für die Moschee, eine Schwarze bei der Hutprobe für den Kirchgang, zwei buddhistische Mönche hämmernd im Tempelfenster, ein Reverend, gebieterisch einem alten Zwillingspaar predigend, gar eine Katholikin mit ihrem bengalischen Freund: Bilder einer gelebten Mini-Utopie.

Markus Mais hängendes »Observatorium« enthält 60 Petrischalen mit diversen Stäuben und Blättchen, die längere Außenlagerung in sie hineingeweht hat. Illusion einer Naturapotheke? Weitere Fundstücke, Fensterrahmen und Colaflasche, bilden eingeschäumt »Fuge« wie eine klüftige Schimmelkultur: Veränderung bekannter Dinge als Perspektivwechsel. Dem huldigen auch Bugra Erol und Daniel Weissbach. Über Ebay georderte Reise-Farbdias perfekter Momente fügt Erol, teils überlagert, zu »Lichtboxen«, die das flirrende Abbild einer so nicht existenten Realität liefern. Weissbach malt großflächig in Acryl und Lack Ziegelstrukturen in Weiß respektive Glutrot, deren Regelmäßigkeit er zerdrückt, verschiebt, gebirgig auffaltet und so mit optischer Täuschung spielt.

Auch das Duo Wermke/Leinkauf »trickst« im Video »Eclipse«. In einer Black Box nimmt man knapp sechs Minuten virtuell an der Fahrt durch einen Regenwasserkanal unterhalb Berlins teil, als rumple eine S-Bahn geräuschvoll durch erlaubtes Terrain, bis man schier ins Bild hineingezogen wird. Eindringlich schlicht gerät ein Triptychon von Stefan Marx: Die Fettlettern »Dreams are Dead« in weißem Acryl auf schwarzer Leinwand verwackeln und kippen in jedem Teil mehr, bis nur noch DEAD lesbar ist - eine düstere Prognose. »Symmetrie bis zum bitteren Ende« heißt es bei Beni Bischof auf 180 mal 170 Zentimetern. Was von weitem wie ein fröhlich bunter Webteppich wirkt, ist strahlenförmig um einen außermittigen Zentralpunkt hingetupft aus Ölfarbe von Rot über Orange bis Gelb und Grün und durch »Meteoritenbahnen« anderer Farbe gestört. Eine ganze Wand füllen seine kleineren Werke: gesprayt; einer Fotografie aufgebrachte Plastikaugen; zwei ölcollagierte »Vogue«-Titelblätter als Protest auch gegen hybriden Modeglamour.

Mit Veränderungen in Dubai setzt sich Sophie-Therese Trenka-Dalton in ihrer Installation »Dubayland Pavilion« auseinander, darin traditionelle Ornamentik, Fotos einer verfallenden Inselarchitektur, stolze Werbung für die Expo 2020, der Blick durch eine winzige Tresortür auf ein Medaillon mit Münze: Fetisch Geld. Iman Issas Großfotografien verstören durch später hineinentworfene Gegenstände, die dort nicht hingehören: der Rundturm auf Istanbuls Tahrir-Platz; die Busstation in der Parkanlage; der Kiosk im engen Durchgang; der Quader auf gepflegt sattem Kurzrasen.

Mit Zoë Claire Millers Zirkel aus acht Kleinplastiken zwischen abstrakt und gegenständlich kehrt die Utopie zurück zum rein Ästhetischen. In glasierter Keramik ahnt man Mutter und Kind, einen Pinguin, sieht einen Leucht-Körper und Skulpturen, die im Umgehen jeweils andere reizvolle Ansichten bieten. Witzig wird es auf dem Hof, wo Wilhelm Klotzeks Skulptur »Zigaretten-Ballett« ausschaut, als sei Kandinskys Palucca-Zeichnung aus den 1920ern ins Dreidimensionale ausgeweitet und verdreifacht. Für oder wider das Rauchen, bleibt offen.

Bis 13.6., Mi-Sa 12-18 Uhr, Alte Post, Hauptstr. 29, Schöneberg; www.realismusclub.com

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