Unkonventionelle Warnung vor Ermittlungen
Bereits seit rund vier Jahren veröffentlicht die Steuerbehörde Namen von vermeintlichen Hinterziehern
Bis Ende April hatte der Ur-Ur-Enkel des Reichskanzlers Otto von Bismarck Zeit, um den Schweizer Behörden einen Bevollmächtigten oder eine aktuelle Adresse in der Alpenrepublik zu nennen. Ob er dies auch tat und ob Francisco José Ortiz von Bismarck tatsächlich Steuern hinterzog, ist nicht bekannt. Immerhin steht sein Name jetzt mit einigen Dutzend potenzieller Steuerhinterzieher im Internet. Auch Franzosen, Spanier und US-Amerikaner lassen sich dort finden.
Ob dies nun ein Fluch oder ein Segen für Personen wie den 35-jährigen Investmentbanker von Bismarck ist, darüber streiten sich die Kommentatoren, seitdem das Schweizer »Sonntagsblatt« darauf aufmerksam machte, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) die Namen und Geburtstage potenzieller Steuerhinterzieher im Bundesblatt veröffentlichen. Dieses ist frei verfügbar für jeden im Internet zu finden. Damit würden vielleicht auch Unschuldige an den Pranger gestellt meine die einen; andere meinen, die Schweiz warne damit Steuerhinterzieher vor einer möglichen Strafverfolgung.
Der EU-Abgeordnete der LINKEN, Fabio De Masi, tippt auf letzteres. »Die Schweiz will Steuerpflichtige auf ungewöhnlichem Weg vor Amtshilfeersuchen warnen«, sagte er dem »nd«. Allerdings müsse auch die Unschuldsvermutung gelten. »Es wäre daher im Interesse der Betroffenen, wenn die Steuerbehörden in Deutschland endlich personell so ausgestattet werden, dass die ehrlichen Steuerzahler schnell von der Liste entfernt werden«, so De Masi.
Für den Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold gehen die Veröffentlichungen aus eben diesem Grunde »einen Schritt« zu weit. »Die Schweiz soll die ausländischen Behörden korrekt und vollständig informieren, statt auf diese Weise in die Bürgerrechte einzugreifen«, sagte Giegold am Dienstag der »Berliner Zeitung«. Schließlich seien die Betroffenen nicht verurteilt.
Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) erklärte indes der »Rheinischen Post«, ein solches Vorgehen sei auf Grund des Steuergeheimnisses und der Unschuldsvermutung nicht möglich. Wenn die Schweiz Namen von Bundesbürgern im Zusammenhang mit möglichen steuerlichen Unregelmäßigkeiten nenne, »müssen und werden unsere Behörden dem aber nachgehen«. Dabei will die Schweizer Steuerverwaltung mit der Veröffentlichung der Namen allen Betroffenen die Möglichkeit geben, Rechtsmittel gegen die Gewährung von Amtshilfe einzulegen. »Das entspricht unseren Schweizer Grundrechten«, sagte ESTV-Sprecher Beat Furrer der Nachrichtenagentur sda. So wird der Weg übers Internet auch erst gegangen, wenn alle Möglichkeiten einer direkten Kontaktaufnahme ausgeschöpft sind.
Zuvor war spekuliert worden, dass die Schweiz den Weg der Veröffentlichungen gegangen sei, weil sie derzeit von Amtshilfeersuchen überschüttet wird. 2791 Mal fragten ausländische Behörden 2014 bei ihr an - im Jahr 2011 waren es noch 370. Doch die ESTV veröffentlicht bereits seit rund vier Jahren Namen von Personen, wegen denen sie von fremden Behörden kontaktiert wird. So machte sich die »Neue Zürcher Zeitung« auch gleich lustig über die Diskussion um diese Praxis: »Neu war das zwar nicht, aber wen kümmert das schon, wenn es sich als neu verkaufen lässt.«
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