Einer, der niemals kapitulierte
Offener Geist, kritischer Kopf, scharfsinniger Analytiker: Zum Tod des Historikers und Publizisten Arno Klönne
Auch wenn einer den größten Teil seiner Lebenszeit in Ostwestfalen verbracht hat und daher zu den berühmt-berüchtigten westfälischen Dickköpfen gehören könnte, muss dem nicht so sein. Arno Klönne war dafür lebendiger Beweis - ein offener Geist, humorvoll, ein Leben lang kritischer Kopf, scharfsinniger Analytiker der bundesrepublikanischen und später auch der Weltverhältnisse. Geboren 1931 in Bochum ist er am Donnerstag, dem 4. Juni 84-jährig gestorben. Er war lebenslang ein Linker, das war sympathischer Ausdruck seiner Dickköpfigkeit, ein linker Marathonläufer, der niemals aufgegeben hat und entschlossen auf Linie blieb.
Dabei waren die Zeiten, die er durchmachen musste, nicht leicht. Er hat noch die letzten Jahre des Nazi-Regimes erleben müssen, war aber zu katholisch, als dass er als Jugendlicher den Schalmeientönen der Hitlerjugend gefolgt wäre. Er hat dann zu Beginn der 1950er Jahre bei Wolfgang Abendroth seine Doktorarbeit über die Hitlerjugend geschrieben. Das war zugleich die Aufarbeitung seiner persönlichen Erfahrungen, der Erwerb einer akademischen Qualifikation und eine Vorarbeit zu der Anfang der 1980er Jahre vorgelegten großartigen Studie über »Jugend im Dritten Reich«. Ein Standardwerk.
Nichts Rettendes in Pink
Den Freien Demokraten ist nach Hamburg der Einzug auch in die Bremer Bürgerschaft gelungen. Als »wahnsinnig« bejubelte die Spitzenkandidatin Lencke Steiner das Stimmresultat für ihre Partei.
In der politischen Ära bedient sich die forsche junge Frau gern der Nonsenssprache, anders als in der Wirtschaftswelt, in der sie arriviert ist, so als Bundessprecherin der »Jungen Unternehmer« und mit einer Firma, die Verpackungsmaterial verkauft.
Vorsichtiger über den Erfolg in Bremen äußerte sich der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner. Ein Signal für den Wiederaufstieg seiner Partei sei dieser - aber man dürfe nun nicht »abheben«, der Weg in den Bundestag brauche noch viel Energie.
Vorschnelle Deutungen der FDP-Ergebnisse und Prognosen daraus für die Ebene der nächsten Bundestagswahl klammern Realitäten der Stimmergebnisse in den beiden Hansestädten aus.
In absoluten Zahlen sind diese recht bescheiden, und die Wahlbeteiligung war besonders niedrig, was kleine Parteien begünstigte. In Hamburg und in Bremen traten die Spitzenkandidatinnen als »Extraformate« auf: nicht zu parteifromm; feminin, aber den Feminismus ablehnend; unternehmerische Gesinnung herausstellend, marktradikal; polemisch gegenüber dem »Sozialklimbim«. Dafür gibt es in beiden Städten eine spezifische, begrenzte Schicht von Interessenten.
Keineswegs hat diese eine Entsprechung im Spektrum der Wählerschaft auf der Ebene des Bundes insgesamt. Hier sind ganz andere soziale Milieus und politische Interessen zahlenstark zu finden.
Von ihren Neigungen zum Sozialliberalismus hat sich die FDP seit langem getrennt. Gelegentlich meldet sie sich noch mit bürgerrechtlicher Kritik zu Wort, aber die ist kein »Markenkern« der Freien Demokraten mehr. Inzwischen hat sich die Partei entschlossen, als Wahlangebot für ein bestimmtes Klientel aufzutreten - für saturierte »Leistungsträger« in der höheren Mittelschicht und solche, die dahin gelangen wollen.
Ob die Bundeskanzlerin glücklich wäre, wenn (nicht sehr wahrscheinlich) ein alter kleiner Koalitionspartner wieder zur Verfügung stehen würde, als Hilfstruppe gegen eine »Überforderung des Sozialstaates«? Wir wissen es nicht, die CDU-Vorsitzende Angela Merkel denkt taktisch, situativ. Wie auch immer - die FDP als Partei wird nicht zum Phönix aus der Asche der Geschichte des deutschen Liberalismus, nun eher pinkfarbig als gelb und blau.
Gesellschaftshistorisch sind die Erfahrungen mit deutschen Liberalen alles andere als erfreulich. Ihre progressive Funktion aus der Zeit um 1848 verloren sie durch die Hinwendung zum »Patriotismus« wilhelminischer Prägung, nach 1918 hatte der Weimardemokratische Liberalismus eine kurze Blütezeit in der Deutschen Demokratischen Partei, danach kam im Bürgertum ein neuer Schwenk zum Nationalliberalismus. Dem Ermächtigungsgesetz stimmten auch die noch verbliebenen Republik- liberalen zu.
Nach 1945 sicherte im Gründungsvorgang der Altbundesrepublik die FDP eine wahlpolitische Mehrheit des »Bürgerblocks« unter Führung der Unionsparteien, mit einigen Exkursionen in der Partei nach weiter Rechts hin, dann kam das Zwischenspiel der sozialliberalen Regierung und schließlich die erneute Rolle als Mehrheitsbeschaffer für eine CDU/CSU-Bundesregierung.
Wer hätte - außer einem spezifischen Klientel - solch einer Partei dauerhaft Vertrauen schenken sollen? Die in vieler Hinsicht angeschlagene deutsche Demokratie hätte von einem Wiederaufstieg der FDP nichts Rettendes zu erwarten.
Bei Arno Klönne kann man wissenschaftliche Arbeit und politische Tätigkeit - anders als es Max Weber verlangen würde - nicht gut trennen. Sein anderes wissenschaftliches Standardwerk, »Sozialkunde der Bundesrepublik Deutschland«, das er gemeinsam mit Dieter Claessens und Armin Tschoepe 1965 geschrieben hatte und das als Fischer-Taschenbuch 1976 eine Fortsetzung erfuhr, an der Dieter Otten und Herrmann Giesecke beteiligt waren, hat der universitären Linken am Ende der Adenauer-Ära und zu Beginn der Studentenbewegung und der APO, der Außerparlamentarischen Opposition, das Zurechtfinden in bewegten Zeit erleichtert.
Arno Klönne war in diesen Jahren des Umbruchs immer in der SPD. Er war ihr aber keineswegs treu, sympathisierte mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der sich gegen das Godesberger Programm von 1961 und die atomare Aufrüstung stark machte und dafür mit dem »Unvereinbarkeitsbeschluss« bestraft wurde: Entweder SPD oder SDS, beides ging nicht. Im Zusammenhang mit dieser Drohung verließ Arno Klönne die gute alte SPD, wurde aber wieder in seinen ostwestfälischen Bezirksverband zurückgeholt. Viele Genossinnen und Genossen waren dickköpfig genug, um die Erpressung der Parteiführung nicht mitzumachen.
Arno Klönne war in der SPD zurück und gleichzeitig im Sozialistischen Büro aktiv. Dessen Mitglieder bezeichnete der in den 70er Jahren schwergewichtige Vorsitzende Kluncker auf einem Kongress der Gewerkschaft ÖTV (heute in ver.di aufgegangen) als »die Arschlöcher vom SB«. Arno Klönne gehörte dazu, war prominentes Mitglied, denn er saß im Arbeitsausschuss, eine Art Vorstand des SB. Dort wurde an der Organisation der mehrheitlich von Spontis beeinflussten Vereinigung gearbeitet. Das hat nicht geklappt, nicht zuletzt weil, die andere Fraktion im SB, die »Traditionalisten«, gespalten waren. Da spielten die »bleiernen« Jahre in Deutschland und die frostigen Breschnew- und Honecker-Jahre in der Sowjetunion und in der DDR hinein. An der Ausbürgerung des Leidermachers Wolf Biermann und der Inhaftierung des Philosophen Rudolf Bahro schieden sich die Geister der schwachen westdeutschen Linken.
Bis zum »Ende der Geschichte«, das ja 1989 eingetreten sein sollte. Doch danach ging es bekanntlich erst richtig los, mit Globalisierung und neoliberalem Turbokapitalismus, mit Weltordnungskriegen von Irak bis Jugoslawien und crisis of democracy. Arno Klönne, der sich bis dato vor allem im Horizont der westlichen BRD und der ihr gewidmeten Sozialkunde bewegt hatte, musste nun die weite Welt entdecken - und natürlich politisch analysieren. Das hat er seitdem gründlich getan, oft als nd-Autor, vor allem aber in kleinen Artikeln in der neu gegründeten Zeitschrift mit dem programmatischen Namen »Ossietzky«. Wer Arno Könne nicht gekannt hat, kann den »Paderborner Jung« dort kennenlernen. Zwar nicht mehr in leiblicher Gestalt, aber doch virtuell: www.ossietzky.net. Sein letzter Artikel für »Ossietzky« (bei Telepolis findet man noch zwei Artikel, die etwas später datieren) beschäftigte sich mit dem 8. Mai 1945, 70 Jahre danach. Er ist überschrieben: »Kapitulation?«.
Arno Klönne hat niemals kapituliert, auch nicht vor der Aufgabe, die deutsche Kapitulation richtig zu interpretieren und die richtigen Lehren für unsere Gegenwart daraus zu ziehen. Diese kann er nun nicht mehr weiterentwickeln. Er hat den Nachfolgenden ein großartiges Beispiel geboten und eine große Aufgabe hinterlassen.
Elmar Altvater lehrte Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
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